Telemedizinische Plattformen und Versandapotheken Grenzen der Kooperation

Mit der fortschreitenden Digitalisierung des Gesundheitswesens gewinnen telemedizinische Plattformen, elektronische Rezepte und der Versand von Arzneimitteln fortlaufend an Bedeutung. Immer häufiger entstehen sogenannte hybride Versorgungsmodelle, bei denen Plattformbetreiber, Ärzte und Apotheken kooperieren, um Patienten einen schnellen, ortsunabhängigen Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglichen. Dieses Zusammenspiel verspricht zwar viele Vorteile, bringt aber rechtliche Risiken mit sich, insbesondere dort, wo wirtschaftliche Interessen auf patientenbezogene Schutzvorschriften treffen. Im Zentrum steht dabei auch die Frage, inwiefern die freie Apothekenwahl des Patienten gewahrt bleibt und ob Absprachen zwischen Plattformbetreibern und Apotheken zulässig sind.

Der Sachverhalt: Bestellprozess und „Premium-Lieferservice“

Das Landgericht Frankfurt am Main (Az. 2-06 O 150/25) hatte über ein Modell zu entscheiden, bei dem eine telemedizinische Plattform mit einer Berliner Versandapotheke kooperierte. Patienten konnten auf der Plattform Online-Rezepte anfordern und verschiedene Medikamente bestellen. Während des Buchungsvorgangs wurden mehrere Versandoptionen angeboten. Besonders herausgestellt wurde jedoch der sogenannte „Premium-Lieferservice“, bei dem das Rezept automatisch und exklusiv an eine bestimmte Versandapotheke gesendet wurde. Erst nachdem die Patienten die Behandlungsgebühr bezahlt hatten, wurde ihnen angezeigt, ob das gewünschte Medikament auch bei anderen Apotheken verfügbar gewesen wäre. Die Versandapotheke erhielt die gesammelten Rezepte und versandte die Medikamente direkt an die Patienten. Die Abrechnung erfolgte unmittelbar mit der Plattform.

Einschränkung der freien Apothekenwahl

Die Klägerin, selbst eine telemedizinische Plattform, wertete dieses Zusammenspiel als Umgehung der apothekenrechtlichen Vorgaben nach § 11 Abs. 1 ApoG. Es werde faktisch dafür gesorgt, dass die Patienten überwiegend den Premium-Lieferservice mit der angebundenen Versandapotheke wählen, während alternative Einlöse-Möglichkeiten – etwa das klassische E-Rezept zur Abholung in einer Präsenzapotheke – im Bestellvorgang zurücktreten und für den Nutzer weniger attraktiv erscheinen. Die Verfügbarkeit der Medikamente in anderen Apotheken werde zudem erst nach Bezahlung sichtbar gemacht. Dies stelle einen Verstoß gegen marktverhaltensregelnde Vorschriften (§ 3a UWG) sowie einen Bruch von apothekenrechtlichen Pflichten dar, weshalb gegenüber dem Betreiber der Versandapotheke ein Unterlassungsanspruch bestehe.

Die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt

Das Landgericht Frankfurt stellte mit Beschluss vom 28. Mai 2025 klar, dass keine unzulässige Zuweisung vorliegt, wenn die automatische Auswahl nur dann erfolgt, wenn der Patient sich ausdrücklich für den Premium-Service entscheidet und zugleich eine echte Alternative angeboten wird. In der Standardvariante konnte eine Apotheke frei aus einer Liste gewählt werden. Nach Auffassung der Kammer trifft der Patient damit bewusst und freiwillig die Entscheidung, die Apothekenwahl an die Plattform zu delegieren. Da diese Entscheidung transparent kommuniziert wird und keine verdeckte Steuerung stattfindet, bleibe die gesetzlich garantierte Wahlfreiheit gewahrt.

Die Entscheidung erging im Rahmen einer einstweiligen Verfügung und setzt ein deutliches Signal für den Telemedizinmarkt: Apothekenwahl und digitale Vermittlungsmodelle können rechtssicher kombiniert werden – vorausgesetzt, die Wahlfreiheit der Patienten bleibt tatsächlich gewahrt. Gleichzeitig zeigt der Blick nach Hamburg, dass nicht alle Gerichte diese Frage gleich bewerten. Dort untersagte das Landgericht in einem ähnlichen Fall die automatische Zuweisung.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt zeigt, dass innovative telemedizinische Modelle mit Apothekenanbindung grundsätzlich möglich und unter bestimmten Bedingungen rechtssicher konzipierbar sind. Dies eröffnet für Patienten und Ärzte erhebliche Chancen: Telemedizin und Versandapotheken ermöglichen eine schnelle, ortsunabhängige Medikamentenversorgung, vereinfachen Abläufe und sind insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität oft ein Gewinn. Plattformbetreiber können neue Märkte und Geschäftsmodelle erschließen – vorausgesetzt, sie beachten die rechtlichen Vorgaben zur Apothekenwahl.

Für Vor-Ort-Apotheken und deren Verbände bedeutet diese Entwicklung jedoch ein erhebliches Risiko: Die zunehmende Verlagerung von Rezeptausstellung und Arzneimittelversorgung auf digitale Kanäle könnte die wirtschaftliche Grundlage vieler Präsenzapotheken schwächen – insbesondere dort, wo Bestellprozesse so gestaltet sind, dass digitale Versandapotheken bevorzugt werden und Alternativen nur eingeschränkt oder verspätet sichtbar sind. Die Frankfurter Entscheidung kann solche Modelle zwar bei formaler Wahlfreiheit ermöglichen, ist jedoch angesichts abweichender Rechtsprechung – etwa in Hamburg – auch kritisch zu bewerten.

Für Vor-Ort-Apotheken zeigt die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt deutlich, wie schmal der Grat zwischen zulässiger Kooperation und faktischer Einschränkung der freien Apothekenwahl ist. Zwar hat das Gericht den Premium-Lieferservice unter bestimmten Bedingungen gebilligt, doch bedeutet dies keineswegs eine generelle Freigabe solcher Modelle. Gerade weil das Verfahren nur im Eilrechtsschutz entschieden wurde, bleibt offen, ob in einem Hauptsacheverfahren oder vor einem anderen Gericht nicht doch eine strengere Linie gezogen wird – wie das Beispiel Hamburg zeigt.

Für Apotheken birgt die aktuelle Entwicklung ein doppeltes Risiko: Einerseits können sie durch exklusive Plattformkooperationen von wichtigen Patientenströmen abgeschnitten werden, andererseits werden sie in ihrer Wettbewerbsfähigkeit geschwächt, wenn digitale Bestellwege systematisch in Richtung einzelner Versandapotheken gelenkt werden.

Date: 15. Sep 2025