Behindertentestamente

Schutztestamente zur Absicherung und Förderung von Menschen mit Behinderung

Testamente vorausschauend zu gestalten, ist eine Kunst. Selbst scheinbar unkomplizierte Familien- und Vermögensverhältnisse erfordern regelmäßig umfangreiche Überlegungen zu den verschiedensten Problemfeldern. An erster Stelle steht bei Ehegattentestamenten regelmäßig die Absicherung des länger Lebenden. Daneben spielen Pflichtteilsgesichtspunkte, die Vermeidung von Steuern und allgemein die Akzeptanz des Testaments (Stichwort: Streitvermeidung) eine große Rolle. Das gilt umso mehr für Sondersituationen. Solche Situationen können sich auf Grund einer bestimmten Vermögensstruktur ergeben, insbesondere für Unternehmer, die ihr Lebenswerk abgesichert wissen wollen, bei Auslandsvermögen sowie für Personen, deren Ehegatten oder Kinder Sozialhilfe beziehen oder die sich in einem Insolvenzverfahren befinden. Sondersituationen können aber auch auf die familiären Verhältnisse zurückzuführen sein, so bei geschiedenen Ehegatten oder bei Patchwork-Familien mit einseitigen und/oder gemeinsamen Kindern (und oft zusätzlich einer komplexen Vermögensstruktur). Auch minderjährige Kinder stellen erhöhte Anforderungen an den Testamentsgestalter.

Zu den rechtlich wohl komplexesten Testamentsformen zählen aber sogenannte „Behindertentestamente“. Hierunter versteht man Testamente von Eltern behinderter Kinder. Es sind Schutztestamente, die der Absicherung und Förderung eines behinderten Kindes für die Zeit nach dem Ableben seiner Eltern dienen und hier – worauf in der Praxis oft nicht genügend abgestellt wird – vor allem einer dauerhaften, guten Betreuung. Zugleich berücksichtigen derartige Testamente die Interessen des länger lebenden Ehegatten als auch eventueller Geschwister des behinderten Kindes.

Beispiel: Familie Lang hat zwei Kinder, Klaus und Ute. Die Tochter ist auf Grund einer Sauerstoffunterversorgung während der Geburt geistig behindert. Sie ist zeitlebens auf Hilfe und Betreuung durch Dritte angewiesen. Ute wohnt in einer Einrichtung für behinderte Menschen. Da sie über kein eigenes Vermögen verfügt und ihr Einkommen aus ihrer Tätigkeit in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung nur sehr gering ist, werden die Kosten für die Einrichtung – rund 3.500 EUR pro Monat – von dem Sozialamt gezahlt. Die Eltern stehen nun vor der Frage, wie sie ihre Tochter testamentarisch absichern können. Zwar würde Ute insgesamt rund 100.000,00 EUR erben, wenn Herr und Frau Lang kein Testament errichten würden. Die Eheleute Lang wissen allerdings, dass das Erbe dann – ohne Testament – in voller Höhe für die Heimkosten verwendet und innerhalb nur weniger Jahre aufgebraucht sein wird. Sie wünschen demgegenüber, dass mit Hilfe des Erbes die Lebenssituation ihrer Tochter zeitlebens verbessert werden soll. Gedacht ist an größere Reisen sowie insbesondere an die Verbesserung von Utes Betreuungssituation (= Finanzierung zusätzlicher Betreuungszeiten), an die Möglichkeit, auch außer der Reihe zusammen mit einem Begleiter in der Stadt einkaufen, bummeln oder ins Kino gehen zu können und ähnliche Verbesserungen im ganz alltäglichen Bereich. Gleichzeitig wünschen Herr und Frau Lang, dass derjenige Teil des Vermögens, der nach dem Ableben ihrer Tochter gegebenenfalls noch vorhanden sein sollte, zu gleichen Teilen an ihren Sohn Klaus bzw. seine Kinder sowie an die Einrichtung, in der Ute gewohnt hat, fallen soll.

Welche Anordnungen aber soll ein Behindertentestament enthalten und welche Fehler gilt es zu vermeiden?

Auf das Ableben des ersten Elternteils, beispielsweise des Vaters, sollte vermieden werden, dass die länger lebende Mutter und das behinderte Kind eine Erbengemeinschaft bilden. Denn bei einer Erbengemeinschaft besteht die Besonderheit, dass Verfügungen über Nachlassgegenstände, z.B. der Verkauf des elterlichen Hauses, nur möglich sind, wenn alle Erben einverstanden sind. Umgekehrt kann jeder Miterbe unabhängig von seiner Erbquote jederzeit die Nachlassauseinandersetzung betreiben und z.B. die Zwangsversteigerung des elterlichen Hauses einleiten. Ist einer der Miterben behindert, kommt hinzu, dass für ihn meist ein Betreuer bzw. ein – dann regelmäßig familienfremder – Ergänzungsbetreuer bestellt sein wird, von dessen Einverständnis (sowie einer ggfs. erforderlichen gerichtlichen Genehmigung) der länger lebende Ehegatte in bestimmten Bereichen abhängig sein kann. Zudem sitzt dann, wenn das behinderte Kind Sozialhilfeleistungen erhält, das Sozialamt faktisch mit am Tisch der Erbengemeinschaft. Zwar kann die Einsetzung als Miterbe langfristig gesehen auch Vorteile mit sich bringen. Wägt man aber die Vorteile einer Erbeinsetzung mit dem Interesse des länger lebenden Ehegatten an seiner möglichst optimalen rechtlichen und wirtschaftlichen Absicherung ab, sollte das behinderte Kind im Zweifel nicht Miterbe werden. Umgekehrt sollte es allerdings auch nicht pauschal enterbt werden, wie dies viele, insbesondere notarielle Testamente immer noch vorsehen. Denn dann stehen dem behinderten Kind Pflichtteilsansprüche zu. Diese gegen den Erben – meist den länger lebenden Elternteil – gerichteten Ansprüche können aber gerade nicht geschützt werden. Vielmehr wird der Pflichtteil von dem Sozialamt zwingend auf sich übergeleitet und wird das Kind im Hinblick auf die Heimkosten zu einem sogenannten „Selbstzahler“, bis das Vermögen aufgebraucht ist. Anders sieht es auf das Ableben des länger lebenden Elternteils aus. Hier sollte das behinderte Kind als (Mit-)Erbe eingesetzt werden. Auf beide Erbfälle aber muss die testamentarische Zuwendung an das behinderte Kind mit begleitenden Anordnungen abgesichert werden, sofern das Kind Eingliederungshilfe erhält oder sein Umzug in eine Einrichtung bevorsteht, was regelmäßig spätestens mit dem Ableben der Eltern der Fall ist.

Vereinfacht gesagt zeichnet sich ein Behindertentestament dadurch aus, dass das behinderte Kind auf den ersten Erbfall ein über dem Pflichtteil liegendes Geldvermächtnis erhält und auf den zweiten Erbfall als Erbe eingesetzt wird. Hier, auf das Ableben des länger lebenden Elternteils ist die Erbeinsetzung sach- und interessengerecht. Zweitens müssen das Vermächtnis und der Erbteil jeweils über dem Pflichtteil liegen. Weiterhin werden insbesondere sogenannte Nacherben ernannt, meist die Geschwister des behinderten Kindes, u.U. aber auch der Sozialhilfeträger oder die Behinderteneinrichtung. Sie erhalten nach dem Ableben des behinderten Kindes das nicht verbrauchte Vermögen. Schließlich wird sogenannte Dauertestamentsvollstreckung angeordnet. Die Kombination dieser Anordnungen erlaubt und gewährleistet, das Erbe zu Gunsten der individuellen Bedürfnisse des behinderten Kindes einzusetzen und zu schützen. Gleichzeitig bleibt der überlebende Ehegatte rechtlich und wirtschaftlich weitestgehend frei.

Was ist zu tun? Ein Kardinalfehler wäre es, überhaupt nichts zu tun. Eltern behinderter Kinder sollten sich im Interesses ihres behinderten Kindes zumindest beraten lassen, möglichst durch einen Fachmann auf dem Gebiet des Erb- und Behindertenrechts. Das gilt unabhängig von der Größe des Vermögens, wobei für „große Vermögen“ zusätzliche Anordnungen zu treffen sind, die von ihren Anforderungen her deutlich über ein „normales“ Behindertentestament hinausgehen. Auch hier wird ein Spezialist helfen können.

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