Auslegungsbedürftige Testamente erkennen und vermeiden

Die Gestaltung von Testamenten und die nach dem Erbfall oft erforderliche Auslegung eines Testaments bilden zwei Seiten ein und derselben Medaille. Zwar versucht ein erfahrener Testamentsgestalter, die spätere Auslegungsbedürftigkeit eines Testaments von vornherein zu vermeiden. Denn gerade im Bereich der Auslegung gilt der alte Satz, wonach man sich vor Gericht und auf hoher See in Gottes Hand befindet. Gleichwohl enthalten nicht nur handschriftliche, sondern auch notarielle Testamente immer wieder unklare Formulierungen oder sind lückenhaft.

Setzt ein Erblasser beispielsweise in seinem Testament „Mutti“ als seine Alleinerbin ein, ist zu klären, wen er gemeint hat, seine Ehefrau (= Mutter seiner Kinder) oder seine Mutter? Regelmäßig sind die im Wege der Auslegung zu klärenden Fragen allerdings weitaus schwieriger. Das gilt insbesondere für lückenhafte Testamente. Hier geht es um die Frage, welche Regelungen ein Erblasser getroffen hätte, wenn er die Lückenhaftigkeit vorausgesehen hätte. Gefragt wird also nach einem fiktiven, unterstellten Willen („was hätte er geregelt, wenn er das Problem gesehen hätte?“) bezogen auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Das gilt auch dann, wenn die Testamentserrichtung Jahre oder Jahrzehnte zurückliegt, wie etwa in folgendem Beispiel:

Der wohlhabende, kinderlose Witwer Dr. Peter Müller hatte in einem notariellen Testament aus dem Jahr 1981 seinen Bruder Frank Müller zu seinem Alleinerben eingesetzt und zehn weiteren Personen, die ihm nahe standen und mit denen er zum Teil verwandt war, je eine Immobilie vermacht. Insbesondere sollte sein Patensohn Bernd, der mit seiner Familie in Österreich wohnt, eine Ferienimmobilie eben in Österreich erhalten. Als Dr. Müller im Jahr 2008 verstarb, befand sich die Eigentumswohnung allerdings nicht mehr in seinem Eigentum. Vielmehr war sie von seinem Bruder Frank Müller im Jahr 2005 auf der Grundlage einer notariellen Generalvollmacht verkauft worden. Der Alleinerbe Frank Müller teilte dem Patensohn kurz nach dem Todesfall zunächst mit, dass der Verkaufserlös auf einem separaten Konto angelegt und bis heute vorhanden sei. Auch erklärte er sich bereit, dem Patensohn den Verkaufserlös zukommen zu lassen. Kurze Zeit später aber änderte er seine Meinung und weigerte sich, den Verkaufserlös auszukehren. Zur Begründung führte er aus, dass in dem notariellen Testament mit keinem Wort geregelt sei, dass im Falle des Verkaufs eines Grundstücks der Verkaufserlös als sogenanntes Surrogat an die Stelle des Vermächtnisgegenstands treten soll. Deshalb sei das Vermächtnis bereits von Gesetzes wegen unwirksam. Auch könne im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung dem Testament an keiner Stelle als Wille des Erblassers entnommen werden, dass dem Vermächtnisnehmer an Stelle des veräußerten Gegenstands der Erlös vermacht sein solle. In der Folgezeit klagte der Patensohn und versuchte die Klippe, die das Gesetz aufstellt, im Wege der ergänzenden Auslegung zu umfahren.

Für eine solche Klage ist allerdings der bedachte Vermächtnisnehmer in vollem Umfang darlegungs- und beweisbelastet. Er ist derjenige, der auf Grund des lückenhaften Testaments bildlich gesprochen gegen den Strom schwimmt. So ist von ihm darzulegen und zu beweisen, (1.) dass das Testament eine Lücke enthält, (2.) dass es sich um eine unbewusste, d. h. nicht von vornherein gesehene und in Kauf genommene Lücke handelt, (3.) was der Erblasser angeordnet hätte, wenn er die Lücke gesehen hätte („Ermittlung des hypothetischen Willens im Wege des Weiter- und zu Ende Denkens des Testaments“) und (4.) dass der in dem dritten Schritt ermittelte unterstelle Wille aus dem Testament wenigstens andeutungsweise hervorgeht. Nur und erst wenn der Richter bei allen vier Schritten überzeugt werden kann, hat die Klage Erfolg. Anderenfalls trägt der Kläger die gesamten Kosten des Verfahrens, d. h. die Gerichtskosten und die Anwaltskosten sowohl seines eigenen wie auch des gegnerischen Anwalts. Problematisch ist insoweit, dass jeder der vier Schritte angreifbar ist und im Rahmen derartiger gerichtlicher Verfahren regelmäßig auch angegriffen wird.

Im konkreten Fall hatte der Patensohn Erfolg, auch wenn ihn das gesamte Verfahren viel Zeit und Nerven gekostet hatte. Gleichwohl sollten derartige Verfahren tunlichst bereits im Keim vermieden und Testamente gerade nicht auslegungsbedürftig sein. Wenn es aber – wie in der Praxis häufig – doch zu Auslegungsprozessen kommt, haben sie doch ein Gutes. Sie sind wichtig, weil sie die Sichtweise des prozessführenden Rechtsanwalts schärfen und er den so gewonnenen Erfahrungsschatz spiegelbildlich für die Gestaltung streitvermeidender und gerade nicht auslegungsbedürftiger Testamente nutzen kann.

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