Ehegattentestamente

Ehegatten errichten häufig ein sog. Berliner Testament. In vielen Fällen bedeutet dies einen Schritt in die richtige Richtung. Das weit verbreitete Gestaltungsmodel passt jedoch nicht für jede Konstellation. Gerade in erbschaftsteuerlicher Hinsicht können sich hieraus gravierende Nachteile ergeben.

I.

Wenn Ehegatten ein Testament errichten, ordnen sie oft an:
„1. Der Zuerststerbende von uns setzt den Überlebenden zu seinem unbeschränkten Alleinerben ein. 2. Der länger Lebende von uns setzt unsere Kinder als seine Erben je zu gleichen Teilen ein. Reutlingen, den . . . . . (Unterschrift)“
Diese Testamentsform, das sog. Berliner Testament, ist seit langem weit verbreitet. Die Vorteile eines solchen Testaments liegen in der angestrebten rechtlichen und wirtschaftlichen Absicherung und Versorgung des länger lebenden Ehegatten: Er soll Alleinerbe werden. Als solcher erhält er alles, was sein verstorbener Ehegatte hinterlässt. Die (nicht notwendig gemeinsamen) Kinder des Erblassers dagegen werden gerade nicht Erben und gehen dementsprechend mit dem länger lebenden Ehegatten auch keine Erbengemeinschaft mit ihren typischen Problemen ein. Stattdessen können sie ihren Pflichtteil geltend machen. Hierauf verzichten sie dem Wunsch der Eltern gemäß zwar oft. Sicher ist dies allerdings nicht. Die Folgen sind dann u.U. hohe Geldforderungen, nachdem der Pflichtteil unmittelbar mit dem Todesfall in bar fällig ist, sowie erhebliche Streitigkeiten innerhalb der Familie.

II.

Ob ein Berliner Testament sich im Einzelfall als die Ideallösung erweist, zeigt sich regelmäßig erst im Nachhinein, also nach dem ersten Erbfall. Wenn sich dann – wie in der Praxis nur zu oft – herausstellt, dass es besser gewesen wäre, in anderer Weise zu testieren, ist es naturgemäß zu spät. Von daher sollten Ehegatten in jedem Fall prüfen bzw. sich beraten lassen, ob das klassische Berliner Testament auch für sie die optimale Lösung darstellt oder ob es nicht zumindest ihren spezifischen Verhältnissen angepasst werden sollte. Denn das herkömmliche Berliner Testament kann sowohl zu erbschaftssteuerlichen (s. 1.) wie auch zu materiell-rechtlichen Problemen (s. 2.) führen.
  1. Erbschaftssteuerliche Probleme
    1. Jedes Kind hat nach jedem seiner Elternteile einen erbschaftssteuerlichen Freibetrag in Höhe von 400.000 € (insgesamt also 800.000 € pro Kind). Das Berliner Testament führt regelmäßig aber dazu, dass die Freibeträge der Kinder auf den ersten Erbfall, also 400.000 € pro Kind, „verschenkt“ werden. Die durchaus drastischen Auswirkungen veranschaulicht das folgende Beispiel:
    2. Herr und Frau Baier sind in Zugewinngemeinschaft verheiratet. Sie verfügen jeweils über rund 1.100.000 € Bankguthaben, die sie während ihrer Ehe erwirtschaftet bzw. geerbt haben und von denen sie ihren Ruhestand bestreiten (Rentenansprüche bestehen nicht). In einem handschriftlichen Berliner Testament haben sie sich gegenseitig als Alleinerben und die gemeinsamen Kinder Petra und Frank als Erben des Überlebenden eingesetzt. Als Herr Baier verstirbt wird er von seiner Ehefrau als Alleinerbin beerbt. Die Kinder Petra und Frank verzichten dem Wunsch der Eltern entsprechend auf ihren Pflichtteil. Einige Jahre später verstirbt auch Frau Baier. Sie wird dem Wortlaut des Testaments gemäß je zur Hälfte von ihren beiden Kindern beerbt. Welche Erbschaftssteuer ist insgesamt zu zahlen, wenn das Vermögen gleichgeblieben ist?
      1. Dem Berliner Testament zu Folge erbt Frau Baier 1.100.000 €. Nach Abzug des Ehegattenfreibetrags (500.000 €) und des Versorgungsfreibetrags (256.000 €) – sofern er Frau Baier in voller Höhe zusteht – hat sie 344.000 € zu versteuern. Bei einem Steuersatz von 15 % beträgt ihre Steuerlast 51.600 €.
      2. Auf das Ableben ihrer Mutter erhalten Petra und Frank je die Hälfte des (Gesamt-)Nachlasses, also jeweils rund 1.100.000 €. Ihr Freibetrag beträgt jeweils 400.000 €, so dass sie je 700.000 € zu versteuern haben. Bei einem Steuersatz von 19% müssen Petra und Frank dann jeweils 133.000 € an Erbschaftssteuer zahlen. Insgesamt, also auf beide Erbfälle betrachtet, fließen 317.600 € an den Staat.
      3. Rein unter erbschaftssteuerlichen Gesichtspunkten betrachtet wäre es besser gewesen, wenn Herr und Frau Baier keinerlei Testament errichtet hätten und gesetzliche Erbfolge eingetreten wäre. Herr Baier wäre von seiner Ehefrau zu ½ (550.000 €) und von den gemeinsamen Kindern je zu ¼ (je 275.000 €) beerbt worden. Es wäre keinerlei Erbschaftssteuer zu zahlen gewesen, da die persönlichen Freibetragsgrenzen nicht erreicht worden wären. Nach der Mutter hätten Petra und Michael jeweils ½ x (1.100.000 € + 550.000 €) geerbt, also je 825.000 €. Abzüglich ihres Freibetrags in Höhe von 400.000 € hätte ihre Steuerlast je 15% von 425.000 € betragen, also je 63.750 €. Auf beide Erbfälle betrachtet wäre 127.500 € Erbschaftssteuer zu zahlen gewesen, also 190.100 € weniger als oben.
      4. Noch besser wäre es gewesen, wenn Herr und Frau Baier z.B. ihr Berliner Testament etwas modifiziert und um einen dritten Satz ergänzt hätten. Abgesehen von der Alleinerbeneinsetzung des länger lebenden Ehegatten hätten sie im Rahmen eines (Zweck-)Vermächtnisses anordnen sollen, dass der Zuerstversterbende den Kindern jeweils 400.000 € vermacht.
      5. Nach dem Ableben von Herrn Baier wäre dann wiederum keine Erbschaftssteuer angefallen. Auf das Ableben von Frau Baier hätten Petra und Frank die Hälfte des elterlichen Vermögens in Höhe von ½ x (1.100.000 € + 300.000 €) geerbt, also je 700.000 €. Ihre Erbschaftssteuerlast hätte dann je 33.000 € (11 % von 300.000) oder zusammen 66.000 € betragen. Es hätten sich also 251.600 € an Erbschaftssteuer einsparen lassen können.
    3. Das Beispiel mit seinen Abwandlungen zeigt, dass Berliner Testamente bei Vermögen ab einer gewissen Größe modifiziert werden sollten, um die erbschaftssteuerlichen Freibeträge nicht zu verschenken. Die Frage, ab welchen Vermögensverhältnissen dies sinnvoll ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, nämlich z.B. der Anzahl der Kinder und der Verteilung des Vermögens unter den Ehegatten. Bei einer Familie mit einem Kind sollte die steuerrechtliche Seite ca. ab einem Gesamtvermögen der Ehegatten von mehr als 400.000 EUR berücksichtigt werden, bei einer Familie mit zwei Kindern ab einem Gesamtvermögen der Ehegatten von mehr als 500.000 EUR. Je größer das Vermögen der Ehegatten ist, umso gravierender sind die steuerrechtlichen Auswirkungen, da die steuerliche Belastung bei steigendem Vermögen überproportional ansteigt (sog. Steuerprogression). Bei Vermögen im Millionenbereich sollte zudem an die Enkelgeneration gedacht werden. Wendet man z.B. seinen fünf Enkeln jeweils den steuerlichen Freibetrag in Höhe von aktuell 200.000 EUR zu und wäre der Gesamtbetrag (1.000.000 EUR) sonst mit 19% zu versteuern, beträgt die Steuerersparnis 190.000 EUR. allerdings sollte dann auch an die Anordnung von Testamentsvollstreckung gedacht werden, z.B. bis die Enkel jeweils das 25. Lebensjahr vollendet haben.
    4. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass in der erbrechtlichen Beratung weiterhin ein Wechsel des ehelichen Güterstandes, die Umschichtung von Barvermögen in eigengenutztes oder vermietetes Immobilienvermögen sowie von Privat- in Betriebsvermögen zu prüfen ist.
  2. Materiell-rechtliche Probleme
    1. Der zweite Problembereich betrifft die materiell-rechtliche Seite und zwar die Frage, ob der länger lebende Ehegatte das mit seinem verstorbenen Ehepartner geschlossene Testament nach dessen Ableben noch ändern kann. Anknüpfend an das obige Beispiel geht es um folgendes:
      Einige Jahre nach dem Ableben von Herrn Baier wird Frau Baier pflegebedürftig. Zwar wohnen die Kinder Petra und Frank in der gleichen Stadt. Gleichwohl kümmert sich ausschließlich die Tochter um ihre Mutter, besucht sie drei Mal am Tag, leistet ihr Gesellschaft und sorgt unter Zuhilfenahme eines ambulanten Pflegedienstes dafür, dass ihre noch mehrere Jahre lang bis zu ihrem Tod in der gewohnten Umgebung bleiben kann. Für Ihre Hilfe hat Frau Petra Baier von ihrer Mutter weder Geld verlangt, noch solches angenommen, wenn die Mutter ihr etwas zustecken wollte. Kurz vor ihrem Tod errichtet Frau Baier sen. daher ein handschriftliches Testament, in dem sie ihre Tochter Petra als Alleinerbin einsetzt. Gleichwohl vertritt Frank nach dem Ableben seiner Mutter die Auffassung, dass er und seine Schwester Petra Erben je zu ½ geworden sind und verlangt die Hälfte der Erbschaft heraus. Zu Recht?
      Wer Frau Baier beerbt, hängt davon ab, ob sie die Erbeinsetzung in dem alten Berliner Testament noch abändern konnte oder ob sie hieran gebunden war. Dies richtet sich danach, ob die sogenannte Schlusserbeneinsetzung in dem Berliner Testament, also die Einsetzung von Petra und Frank als Erben des länger Lebenden, „wechselbezüglich“ ist oder nicht. Im ersteren Fall ist sogenannte Bindungswirkung eingetreten und hätte Frau Baier das neuere handschriftliche Testament nicht mehr errichten dürfen: Petra und Frank wären je zur Hälfte Erben. Im letzteren Fall wäre Petra Alleinerbin und ihr Bruder auf den Pflichtteil gesetzt.
    2. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang bei gemeinschaftlichen Testamenten Bindungswirkung eingetreten ist, hat erhebliche praktische Auswirklungen. Hiernach richtet sich beispielsweise auch die Frage, ob eine größere Schenkung von dem länger lebenden Elternteil nur an eines der Kinder von den anderen hinzunehmen ist oder ob die Schenkung nach dem Ableben des länger lebenden Elternteils faktisch rückabgewickelt werden kann. Im Ergebnis wird für das Testament der Eheleute Baier davon auszugehen sein, dass Frau Baier erbrechtlich gebunden war. Das hat zur Folge, dass das handschriftliche Testament von Frau Baier unwirksam ist und dass Frau Baier entgegen ihrem Willen von beiden Kindern je zur Hälfte beerbt wird.
    3. Wie hätte sich dieses Ergebnis verhindern lassen? Wenn Herr und Frau Baier sich bei der Abfassung ihres Testamentes hätten beraten lassen, hätten sie mit großer Wahrscheinlichkeit Vorsorge für den in der Praxis ausgesprochen häufig vorkommenden Fall getroffen, dass nämlich der länger lebende Ehegatte ausschließlich von einem der Kinder gepflegt wird und das andere Kind sich nicht oder nur in sehr geringem Umfang um seinen Elternteil kümmert. Herr und Frau Baier hätten dann in ihrem Testament beispielsweise anordnen können, dass der überlebende Ehegatte unter bestimmten Voraussetzungen neu testieren kann.
    4. Als Alternative wäre ein Pflegevertrag zwischen Frau Baier und ihrer Tochter Petra in Betracht gekommen. Darin hätte geregelt werden können und müssen, was genau sie für ihre Mutter tut, seit wann sie für ihre Mutter tätig ist und wie umfangreich sich die Pflege, Versorgung und Betreuung gestaltet. Weiterhin hätte eine bestimmte Vergütung vereinbart werden müssen, wobei die Rechtsprechung wiederholt entschieden hat, dass die Pflege durch einen nahen Angehörigen durchaus teurer sein kann, als die Pflege beispielsweise durch einen ambulanten Pflegedienst. Schließlich hätten Frau Baier und ihre Tochter Petra vereinbaren können, dass die Vergütung bis zum Ableben von Frau Baier gestundet wird. Dies entspricht regelmäßig dem Willen der Beteiligten: Frau Baier senior müsste von ihren monatlichen Einkünften nichts an ihre Tochter Petra weiterleiten. Gleichwohl wäre Petra abgesichert und bekäme ihre Pflegeleistungen nach dem Ableben der Mutter vergütet.

III.

Zusammenfassung: Das in der Praxis ausgesprochen häufig vorkommende Berliner Testament kann bei Vermögen ab einer gewissen Größenordnung nach wie vor zu erbschaftssteuerrechtlichen sowie zu tatsächlichen Schwierigkeiten führen, über die man sich bewusst sein sollte und die im Zuge einer Beratung im Zweifel auch vermieden werden können. Ob die Beratung durch einen Notar oder durch einen Rechtsanwalt erfolgt, ist im Ergebnis gleich, nachdem Testamente auch handschriftlich errichtet werden können. Entscheidend sollte das jeweilige Fachwissen sein. Aber selbst wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass das klassische Berliner Testament im Einzelfall nicht modifiziert und den individuellen Verhältnissen angepasst werden muss, ist es in jedem Fall besser, diese Entscheidung bewusst und in Kenntnis der Folgen eines Berliner Testaments und nicht „ins Blaue hinein“ getroffen zu haben.
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