Notfalldienst: Sozialversicherungspflicht für Pool-Ärzte

Zur Teilnahme am vertrags(zahn)ärztlichen organisierten Notdienst (auch: „Notfalldienst“ oder „Bereitschaftsdienst“) sind grundsätzlich alle Ärzte und Zahnärzte verpflichtet, die an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung teilnehmen. Organisiert wird der Notfalldienst von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZVen), deren Sicherstellungsauftrag nach § 75 Abs. 1b SGB V auch die vertragsärztliche Versorgung zu sprechstundenfreien Zeiten umfasst. Am Notfalldienst können freiwillig auch (Zahn)Ärzte teilnehmen, die ansonsten nicht oder nicht mehr an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen (sog. „Pool-Ärzte“). Für die Übernahme von Notfalldiensten erhalten die (Zahn)Ärzte eine gesonderte Vergütung. In der Regel wird der Notfalldienst in von der KV bzw. KZV eingerichteten Notfallpraxen abgeleistet, die oftmals an Zahnkliniken oder Krankenhäuser angeschlossen sind; dabei wird auf die dort vorhandenen Räumlichkeiten, Einrichtung und Personal zurückgegriffen. Die freiwillig tätigen Ärzte und Zahnärzte können der zuständigen KV bzw. KZV mitteilen, in welchem Zeitraum sie zur Erbringung von Diensten zur Verfügung stehen. Die Einteilung zu den Diensten erfolgt dann durch die KV bzw. KZV. Durch die Übernahme von Diensten durch Poolärzte werden die niedergelassenen (Zahn)Ärzte erheblich entlastet. Für die Dauer der Teilnahme am Notfalldienst sind die (Zahn)Ärzte in die vertragsärztliche Versorgung einbezogen (§ 75 Abs. 1b S. 5 SGB V).
In dem nun vom BSG entschiedenen Fall war zu klären, ob ein ehemaliger Vertragszahnarzt, der nach der Veräußerung seiner Praxis nicht mehr zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen war und den von der KZV organisierten Notfalldienst wahrnahm, während der Erbringung von Notfalldiensten für die KZV Baden-Württemberg abhängig beschäftigt und damit sozialversicherungspflichtig war.

Der Fall

Der klagende Zahnarzt hatte auch nach der Veräußerung seiner Praxis im Jahr 2017 in den Jahren 2018 und 2019 freiwillig an den von der KZV Baden-Württemberg organisierten Notfalldiensten teilgenommen. Den Notdienst verrichtete der Zahnarzt im Notfalldienstzentrum der KZV; die KZV sorgte sowohl für die Anmietung der Räumlichkeiten, als auch für die Ausstattung derselben mit Geräten, Material und weiterem Personal. Den Notdienst führten in diesen Räumlichkeiten auch andere, an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Zahnärzte aus.

Der Zahnarzt konnte der KZV über ein Formular mitteilen, welche Schichten er wahrnehmen wollte. Auf Grundlage dessen erstellte die KZV sodann Pläne für den Notdienst und teilte den Zahnarzt hier ein. Während der Schicht waren neben dem Zahnarzt auch medizinische Fachangestellte anwesend, die sich um Assistenz und Dokumentation kümmerten. Für die Tätigkeit erhielt der Kläger einen festgelegten Stundensatz, der je nach Uhrzeit zwischen 34 und 50 Euro pro Stunde lag.

Nachdem der Zahnarzt wegen Unstimmigkeiten hinsichtlich Behandlungsmodalitäten von der KZV nicht mehr zum Notdienst eingeteilt wurde, wandte er sich nach einem erfolglosen arbeitsgerichtlichen Verfahren an die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) und beantragte die Feststellung, dass ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorlag. Die DRV lehnte dies ab, der Zahnarzt erhob Klage zum zuständigen Sozialgericht (SG), unterlag in erster Instanz und schließlich auch in zweiter Instanz vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (Urt. v. 20.07.2021, L 11 BA 3136/20).

Das LSG hatte das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung verneint und ausgeführt, dass der Zahnarzt aufgrund eines mitwirkungsbedürftigen Verwaltungs-aktes zum Notdienst herangezogen worden sei und währenddessen gem. § 75 Abs. 1b S. 5 SGB V an der vertragsärztlichen Versorgung teilgenommen habe. Für den Abschluss eines Dienst- oder Arbeitsvertrages habe daneben kein Raum bestanden. (Rn. 29)

Das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV erfordere nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig sei. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb sei dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege. Eine selbstständige Tätigkeit hingegen sei durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungs¬möglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. (Rn. 30)

Zu berücksichtigen sei auch, dass der gesetzliche Sicherstellungsauftrag der KZV auch die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu sprechstundenfreien Zeiten umfasse. (Rn. 31)

Nach Auffassung des LSG sind Vertragszahnärzte, die am Notdienst teilnehmen, nicht in einen fremden Betrieb eingegliedert und unterliegen auch keinen Weisungen. Die Durchführung des Notdienstes sei – so das LSG – Ausfluss der allgemeinen Berufs¬pflichten von Ärzten und gerade auch und in erster Linie von selbständig tätigen Ärzten. Die Organisation des Notdienstes durch die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen führe nicht zur Einrichtung eines „Betriebs“ im arbeitsrechtlichen Sinne. Die K(Z)V sei zwar Träger des Notdienstes, aber nicht Arbeitgeber der den Notdienst durchführenden Ärzte. Auch wenn der Notdienst in eingerichtete Notfallzentren stattfände, stelle dies nur eine Organisation des Zusammenwirkens selbständig tätiger Einheiten im funktionellen Sinne dar und führe nicht zu einer Organisation im institutionellen Sinne. Die notdiensthabenden Zahnärzte entscheiden über ihre notdienstliche Tätigkeit jeweils in eigener zahnärztlicher Verantwortung. Das LSG sah hierbei keinen Unterschied zu der Grundkonstellation des Notfalldienstes, der vom Praxissitz aus geleistet wird zur Erbringung des Notdienstes in einer Notfallpraxis. (Rn. 34) Nach Auffassung des LSG sei dies auch nicht anders zu bewerten, wenn der Teilnehmende nicht mehr über eine eigene Praxis verfüge. (Rn. 35)

Entscheidung des BSG vom 24.10.2023 (B 12 R 9/21 R)

Das BSG hat mit Urteil vom 24.10.2023 die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg aufgehoben und der Klage des Zahnarztes stattgegeben. Allein aufgrund der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ergebe sich nicht automatisch eine selbstständige Tätigkeit. Vielmehr sei – wie bei anderen Tätigkeiten auch – auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.

Gegen die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit sprach nach Auffassung des BSG, dass der Kläger in den von der KZV organisierten Abläufen tätig war. Auf die Abläufe hatte er keinen entscheidenden und erst recht keinen unternehmerischen Einfluss. In die vorgegebene Struktur fügte er sich fremdbestimmt ein und wurde unabhängig von konkreten Behandlungen stundenweise bezahlt. Eine Abrechnungsbefugnis besaß er nicht. Als nicht entscheidend sah das BSG an, dass der Zahnarzt bei der konkreten medizinischen Behandlung als Zahnarzt frei und eigenverantwortlich tätig handelte. Das BSG sah den Zahnarzt daher als abhängig beschäftigt und damit sozialversicherungspflichtig an.

Fazit

Die Veröffentlichung der Entscheidungsgründe steht zwar noch aus. Das Ergebnis steht jedoch in einer Linie mit den zuletzt ergangenen Entscheidungen des BSG zur Annahme einer abhängigen Beschäftigung bei Ärzten.

Das BSG hatte bereits in den Jahren 2019 entschieden, dass Honorarärzte im Krankenhaus regelmäßig anhängig beschäftigt sind (Urt. v. 04.06.2019, B 12 R 11/18 R Leitfall) und dabei darauf abgestellt, dass Honorarärzte in die vorgegebenen Arbeitsorganisation des Krankenhauses eingegliedert sind und die zur Verfügung gestellten sachlichen und personellen Ressourcen nutzen. Im Jahr 2021 hatte das BSG (Urt. vom 19.10.2021, B 12 KR 29/19 R) für Notärzte entschieden, dass auch bei diesen eine Eingliederung in den öffentlichen Rettungsdienst stattfindet, da sie u.a. der Pflicht unterliegen, sich in der Nähe des Notarztfahrzeuges aufzuhalten, und darüber hinaus fremdes Personal und Rettungsmittel genutzt werden. Ebenfalls am 19.10.2021 entschied das BSG für den Fall der Vertretung in einer Gemeinschaftspraxis, dass auch die Vertretungstätigkeit in einer fremden Praxis eine abhängige Beschäftigung darstellt. Das Gericht hatte auch hier zur Begründung auf die Eingliederung in die Arbeitsabläufe der Praxis, das arbeitsteilige Zusammenwirken mit dem Praxispersonal sowie die Nutzung von Einrichtungen und Mitteln der Gemeinschaftspraxis abgestellt wurde.

Im Ergebnis überrascht die Entscheidung des BSG also nicht. Die Folgen für die betroffenen Ärzte und Zahnärzte dürften allerdings erheblich sein. Da der Bereitschaftsdienst oftmals von Pool-Ärzten durchgeführt wird, bleibt den zur Teilnahme Verpflichteten vor allem die Möglichkeit, vertretungswillige Kollegen in der eigenen Praxis anzustellen. Gleiches gilt für KV und KZV. Für das System des Bereitschaftsdienstes ist das – gelinde gesagt – unerfreulich.

Es bleibt abzuwarten, ob, wann und wie der Gesetzgeber auf die Situation reagiert. An einem funktionierenden Notfall-System sollte im Interesse der Gesamtbevölkerung allen gelegen sein. Die Rentenkassen auffüllen wird die Entscheidung sicherlich nicht, da Ärzte und Zahnärzte regelmäßig an die Versorgungswerke leisten müssen.

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