Der EuGH, das BAG und das deutsche Urlaubsrecht

Der EuGH hat jüngst mit gleich zwei Entscheidungen zum Urlaubsrecht für Aufsehen gesorgt. Denn diese stellen das deutsche Urlaubsrecht auf den Kopf und machen eine Rechtsprechungsänderung des BAG erforderlich.

1. Kein automatischer Verfall des Urlaubs zum Jahresende, EuGH, Urteil vom 06.11.2018, Az. C-619/16

Der EuGH gab einem angehenden Juristen, welcher nach Beendigung des Rechtsreferendariats die Abgeltung nicht genommenen Urlaubs beanspruchte, Recht, obwohl er überhaupt keinen Urlaub beantragt hatte. Der EuGH sieht nämlich eine Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen, seine Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen und transparent über den Verfall nicht genommener Urlaubstage aufzuklären. Hierfür trage der Arbeitgeber die Beweislast. Unterlässt der Arbeitgeber somit eine entsprechende Aufklärung, verfallen Urlaubsansprüche auch ohne Antrag nicht mehr am Jahresende. Kann der Arbeitgeber den Nachweis der Aufklärung des Arbeitnehmers erbringen und hatte der Arbeitnehmer auch faktisch die Möglichkeit, Urlaub zu nehmen, bleibt es wie bisher beim Verfall des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 BUrlG. Denn dann stehe das Unionsrecht, so der EuGH, einer Regelung nicht entgegen, nach der ein Anspruch auf finanzielle Abgeltung auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen ist.

Fazit: Welche Konsequenzen im Einzelnen bzgl. der Aufklärungspflicht des Arbeitgebers erwachsen, ist noch unklar. So wird das Bundesarbeitsgericht hierzu wohl konkretisierende Ausführungen vornehmen müssen. Einstweilen ist Arbeitgebern anzuraten, ihre Arbeitnehmer der klar und transparent darauf hinzuweisen, dass am Jahresende der Verfall des Urlaubs droht, sollte er bis dahin nicht genommen werden. Es muss den Arbeitnehmern zudem die tatsächliche die Möglichkeit gegeben werden, den Urlaub zu nehmen.

Die Entscheidung des EuGH bezog sich nur auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Nehmen Arbeitsverträge zulässigerweise schon eine Trennung des Urlaubsanspruchs in den gesetzlichen und den übergesetzlichen Urlaub vor und regeln diese, dass Urlaub zunächst auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch angerechnet wird, so wird der gesetzliche Urlaubsanspruch in aller Regel am Jahresende bereits erfüllt sein und nur der übergesetzliche Urlaubsanspruch dem Verfall unterliegen. Durch diese arbeitsvertragliche Gestaltung lässt sich das Risiko für Arbeitgeber begrenzen.

2. Urlaubsabgeltungsansprüche sind vererblich, EuGH, Urteil vom 06.11.2018, Az. C-569/16 und C-570/16 und BAG, Urteil vom 22.01.2019 – 9 AZR 45/16

Stirbt ein Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses und Bestehen im Zeitpunkt des Todes noch Urlaubsansprüche, sind diese Teil der Erbmasse und ein entsprechender Abgeltungsanspruch gegen den Arbeitgeber geht auf die Erben über, so der EuGH. Hierfür sei es unerheblich, ob das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers oder zuvor bereits auf andere Weise geendet habe. Der EuGH führte aus, dass der Urlaub zwei Komponenten habe: eine zeitliche und eine finanzielle. Durch den Tod des Arbeitnehmers sei die finanzielle Komponente nicht untergegangen und somit auch vererbbar. Entgegenstehende nationale Regelungen seien mit dem Unionsrecht nicht vereinbar.

Diese Entscheidung des EuGH steht in Gegensatz zu der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, welches eine Abgeltung von Urlaubsansprüchen für Erben nur anerkannt hatte, wenn der Erblasser vor seinem Tod aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist und der Urlaubsanspruch daher bereits in eine Urlaubsabgeltung in Geld gewandelt wurde. Im deutschen Urlaubsrecht gibt es nämlich keine Urlaubsabgeltung im laufenden Arbeitsverhältnis, da der Zweck des Urlaubs die Erholung des Arbeitnehmers und nicht eine finanzielle Begünstigung dafür, dass Urlaub nicht genommen wird, ist. Nur zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch bestehende Urlaubsansprüche wandeln sich mit der Beendigung in einen Abgeltungsanspruch um. Stirbt ein Arbeitnehmer nun aber während des Arbeitsverhältnisses, so führt bereits der Tod des Arbeitnehmers und nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses i.S.d. § 7 IV BUrlG dazu, dass der Urlaub nicht mehr genommen werden kann. Mit dem Tod wird die Urlaubsgewährung unmöglich, der Anspruch geht unter. Wenn bereits kein Anspruch mehr auf die Gewährung von Urlaub besteht, kann dieser auch nicht durch Geld ersetzt werden, so die bisherige Auffassung des Bundesarbeitsgerichts.

Fazit: Die unterschiedlichen Rechtsprechungen des EuGH und des BAG lassen sich nur verstehen, wenn man die jeweilige Sichtweise der Gerichte betrachtet: Während das BAG Urlaub vielmehr etwas Höchstpersönliches, das dem einzelnen Arbeitnehmer zusteht, betrachtet, sieht der EuGH nicht nur den Erholungsanspruch sondern auch eine reine finanzielle Komponente auf „bezahlten Jahresurlaub“, welcher als vermögensrechtlicher Anspruch ohne weiteres vererbt werden kann.

Update: In seiner Entscheidung vom 22.01.2019 – 9 AZR 45/16 setzte das Bundesarbeitsgericht die Vorgaben des EuGH bereits um und entschied, dass nicht nur der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch bei Tod des Arbeitnehmers abgegolten werden müsse, sondern auch der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen sowie über den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch hinausgehende Ansprüche nach dem TVöD

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