Übersicht zur Novelle der Landesbauordnung Baden-Württemberg 2015

Die Landesregierung hat am 03.06.2014 einen Gesetzesentwurf zur Änderung der Landesbauordnung für Baden-Württemberg (Landtagsdrucksache 15/5294) in den Landtag eingebracht. Der Gesetzentwurf wurde im Landtag in der Plenarsitzung vom 05.11.2014 in zweiter Lesung behandelt und als Gesetz beschlossen (Landtagsdrucksache 15/6097). Die Verkündung erfolgte am 11.11.2014 im Gesetzblatt des Landes Vgl. Gesetzblatt für Baden-Württemberg 2014, S. 501 ff). Die Novelle bringt zahlreiche Änderungen bauordnungsrechtlicher Vorschriften mit sich.

1. Die wesentlichen Änderungen

§ 5 Abs. 4 LBO n.F.

Der Wortlaut in § 5 Abs. 4 LBO N.F. wurde dahingehend geändert, dass die tatsächliche Geländeoberfläche nach Ausführung des Bauvorhabens zur Bestimmung der Abstandsflächentiefe maßgeblich sein soll. Nach der Gesetzesbegründung soll daher bei Abgrabungen auf dem Baugrundstück grundsätzlich die nach der Abgrabung bestehende Geländeoberfläche heranzuziehen sein. Bei Auffüllungen soll hingegen darauf abgestellt werden, ob ein vernünftiger Grund für die Auffüllung besteht. Erfolgt eine Auffüllung nur zu dem Zweck, die Abstandsflächentiefe zu verringern, soll dies unbeachtlich sein.

§ 5 Abs. 5 LBO n.F.

Der Wortlaut der Regelung wurde dahingehend geändert, dass künftig Dachflächen unabhängig von dem Grad der Neigung gleichmäßig berücksichtigt werden. Die Höhe der Giebelfläche soll damit künftig zur Hälfte des Verhältnisses, in dem ihre tatsächliche Fläche zur gedachten Gesamtfläche einer rechteckigen Wand mit denselben Maximalabmessungen steht, berücksichtigt werden. Dies kann dazu führen, dass bei Vorhaben, die bislang mit einer Dachneigung von bis zu 45° geplant worden sind, künftig eine Anrechnung auf die Wandhöhe stattfindet und infolge dessen eine größerer Abstandsflächentiefe einzuhalten ist.

§ 5 Abs. 6 LBO n.F.

Bei der Bemessung der einzuhaltenden Abstandsflächen bleibt die nachträgliche Wärmedäm-mung eines Bestandsgebäudes außer Betracht, sofern diese nicht mehr als 0,25 m vor die Au-ßenwand tritt. Dadurch soll die nachträgliche Wärmedämmung von Gebäuden erleichtert wer-den.

§ 6 Abs. 1 LBO n.F.

Die in § 6 Abs. 1 Satz 3 enthaltene zusätzliche Begrenzung einer ohne Abstandsflächen zuläs-sigen Grenzbebauung entlang von Nachbargrenzen auf 9 m, insgesamt 15 m, gilt künftig nicht mehr für Gebäude oder Gebäudeteile, die eine Wandhöhe von nicht mehr als einem Meter ha-ben. Der Anwendungsbereich der Begrenzung beschränkt sich künftig demnach auf Anlagen im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBO (Garagen, Gewächshäuser und Gebäude ohne Aufent-haltsräume). Nach der Gesetzesbegründung soll damit insbesondere die Errichtung von Tiefgaragen erleichtert werden, indem eine größere Nutzbarkeit der Grundstücke ermöglicht wird. Der Gesetzgeber sieht nachbarliche Belange bei Gebäuden die unterirdisch angelegt sind oder jedenfalls nicht mehr als einen Meter über die Geländeoberfläche hervortreten, regelmäßig als nicht beeinträchtigt an.

§ 8 Abs. 2 LBO n.F.

Neu eingeführt wird eine Anzeigepflicht bei Grundstücksteilungen. Der unteren Baurechtsbe-hörde sind beabsichtigte Grundstücksteilungen zwei Wochen vorher anzuzeigen. Eine Geneh-migungspflicht ist damit nicht verbunden. Das Unterlassen der erforderlichen Teilungsanzeige stellt eine Ordnungswidrigkeit dar. § 75 Abs. 1 Nr. 1 LBO n.F. wurde entsprechend neu gefasst.

§ 15 Abs. 8 LBO n.F.

Bei der Errichtung von Gebäuden zur Haltung von Tieren (Stallgebäude) müssen künftig geeig-nete Einrichtungen zur Rettung der Tiere im Brandfall erstellt werden. Der Gesetzgeber sieht hier insbesondere den Einbau von Brandmeldeanlagen als erforderlich an.

§ 35 Abs. 1 LBO n.F.

Künftig ist bereits bei der Errichtung eines Gebäudes mit mehr als zwei Wohnungen (anstelle von bisher mehr als vier) eine Wohnung barrierefrei zu gestalten. Drüber hinaus spricht § 35 Abs. 1 Satz 2 LBO n.F. davon, dass die Wohn- und Schlafräume, eine Toilette, ein Bad und die Küche barrierefrei nutzbar sein müssen, wohingegen § 35 Abs. 1 Satz 2 LBO bislang nur eine Zugänglichkeit forderte. Dem Wortlaut der geänderten Vorschrift ist eine Erweiterung der Ver-pflichtungen des Bauherrn zu entnehmen, da eine Nutzbarkeit im Gegensatz zu einer bloßen Zugänglichkeit insbesondere die Einhaltung notwendiger Bewegungsflächen erfordert.

Der ursprüngliche, von der Landesregierung am 03.06.2014 vorgelegte Gesetzesentwurf sah diese Erweiterung der Barrierefreiheit von einer Zugänglichkeit auf eine Nutzbarkeit noch nicht vor (vgl. Landtagsdrucksache 15/5294, S. 8). Im Rahmen der Anhörung von Verbänden zur Gesetzesvorlage wurde von verschiedenen Seiten eine Erweiterung auf die Nutzbarkeit von barierefreiem Wohnraum gefordert, was die Landesregierung zunächst unter Verweis auf die mit der dann notwendigen Einhaltung von Bewegungsflächen einhergehenden Erhöhung der Baukosten abgelehnt hat. Die vom Landtag beschlossene Fassung des § 35 Abs. 1 LBO n.F. geht auf einen Änderungsantrag der Landtagsfraktionen GRÜNE und SPD zurück, der hinsichtlich der barrierefreien Nutzbarkeit auf die DIN 18040-2 (Barrierefreies Bauen – Wohnungen) mit Ausnahme der Rubrik „R“ (uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar) verweist. Dem Änderungsantrag wurde in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und Infrastruktur des Landtags zugestimmt und die Neufassung des § 35 Abs. 1 LBO schließlich als Artikel 1, Nr. 15, lit. b) am 05.11.2014 durch den Landtag als Gesetz beschlossen. Insoweit ist davon auszugehen, dass künftig bei der Errichtung von Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen eine Wohnung barrierefrei nutzbar gemäß DIN 18040-2 hergestellt werden muss, sofern nicht eine Ausnahme gemäß § 35 Abs. 1 Satz 3 LBO vorliegt.

§ 35 Abs. 4 Satz 1 LBO N.F.

Eine zentrale Neuerung ist die Verpflichtung, für jede Wohnung zwei geeignete, wetterge-schützte Fahrradstellplätze herzustellen. Damit besteht künftig neben der Pflicht zum Nach-weis notwendiger KFZ-Stellplätze auch die Verpflichtung zur Errichtung notwendiger Fahrrad-stellplätze. Nähere Anforderungen an die Fahrradstellplätze stellt § 37 Abs. 2 Satz 2 LBO n.F. auf. Danach müssen die notwendigen Fahrradstellplätze wettergeschützt sein, eine wirksame Diebstahlsicherung ermöglichen und von der öffentlichen Verkehrsfläche ebenerdig, durch Rampen oder durch Aufzüge zugänglich sein. Der Gesetzesbegründung ist zu entnehmen, dass es zur Ermöglichung einer wirksamen Diebstahlsicherung ausreicht, wenn eine Gelegenheit zur Anbringung eines Fahrradschlosses an einen festen Fahrradständer oder Ähnliches besteht. Ebenso geeignet, jedoch nicht erforderlich, ist die Einrichtung eines einzeln abschließbaren Fahrradstellplatzes. Nicht zulässig ist die Einrichtung von Fahrradstellplätzen, die beispielsweise im Kellergeschoss nur über Treppen erreichbar sind. Unschädlich soll jedoch sein, wenn der wettergeschützte Abstellplatz über einzelne Stufen erreicht werden kann. Insofern ist kein barrierefreier Zugang notwendig. Wo die Grenze hier zu ziehen sein wird, bleibt indes offen.

Eine Ausnahme von der Pflicht zur Erstellung von Fahrradstellplätzen sieht der Gesetzgeber nur in Fällen vor, in denen nach Art, Größe oder Lage der Wohnung keine Fahrradstellplätze erforderlich sind. Der Gesetzgeber blickt hier insbesondere auf Situationen, in denen kein Bedarf an Fahrradstellplätzen vorhanden ist, etwa weil die Bewohner üblicherweise kein Fahrrad haben (bspw. in einem Alten- und Pflegeheim) oder in unmittelbarer Umgebung bereits eine Vielzahl von Fahrradstellplätzen vorhanden ist. Auch bei einer Ein-Zimmer-Wohnung sieht der Gesetzgeber keinen Bedarf für zwei Fahrradstellplätze, sondern lässt einen genügen.

Die Pflicht zur Herstellung von Fahrradstellplätzen wird in § 37 Abs. 2 Satz 1 LBO n.F. erweitert auf sämtliche baulichen Anlagen, bei denen ein Zu- und Abfahrtsverkehr mit Fahrrädern zu er-warten ist. Der Gesetzgeber geht bei den meisten Nutzungsarten baulicher Anlagen, beispielsweise als Verwaltungsgebäude, Gaststätte oder Sportanlage, von einem solchen Fahrradverkehr aus. Entsprechend sind Fahrradstellplätze in der notwendigen Zahl herzustellen. Von der Vorgabe einer bestimmten Anzahl hat der Gesetzgeber – anders als bei Wohnungen in § 35 Abs. 4 Satz 1 LBO n.F. – hier abgesehen. Für Rechtssicherheit sollen hier landeseinheitliche Verwaltungsvorschriften sorgen, die bislang noch nicht vorliegen. Nach dem Wortlaut der Regelung in § 37 Abs. 2 LBO n.F. müssen die herzustellenden Fahrradstellplätze nur eine Diebstahlsicherung ermöglichen und ebenerdig, über Rampen oder Aufzüge zugänglich sein. Einen Wetterschutz verlangt das Gesetz ausdrücklich nur bei Herstellung von Fahrradstellplätzen für Wohnungen in § 35 Abs. 4 Satz 1 LBO n.F. Ob ein solcher Wetterschutz auch bei notwendigen Fahrradstellplätzen für Nicht-Wohngebäude erforderlich ist, lässt sich weder dem Wortlaut der Vorschrift noch der Gesetzesbegründung entnehmen. Dafür könnte allerdings sprechen, dass § 35 Abs. 4 Satz 1 LBO n.F., der auf den Wetterschutz verweist, eine Legaldefinition des Begriffs „notwendiger Fahrradstellplatz“ enthält, der auch in § 37 Abs. 2 Satz 1 LBO n.F. verwendet wird. Wie diese Frage im Streifall durch ein in der Sache befasstes Gericht beurteilt wird, lässt sich allerdings kaum vorhersagen.

§ 35 Abs. 4 Satz 2 LBO n.F.

Neben der bislang schon bestehenden Pflicht, geeignete und ebenerdig erreichbare Flächen zum Abstellen von Kinderwagen herzustellen, sind nun auch Flächen zum Abstellen von Gehhilfen (Rollatoren) herzustellen. Dies gilt nicht mehr in Abhängigkeit von der Gebäudeklasse (§ 35 Abs. 4 LBO verweist auf Gebäude der Gebäudeklassen 3 bis 5), sondern künftig in jedem Gebäude mit mehr als zwei Wohnungen.

§ 35 Abs. 5 LBO n.F.

Nach der Neufassung der Vorschrift ist künftig für jede Wohnung ein separater Abstellraum notwendig, statt wie bisher in Gebäuden mit mindestens 20 Wohnungen.

§ 37 Abs. 1 LBO n.F.

Künftig besteht die Möglichkeit, bis zu einem Viertel der notwendigen KFZ-Stellplätze im Ver-hältnis 1 : 2 in Fahrradstellplätze umzuwandeln. Dabei kann diese Option jedoch nur zur Her-stellung zusätzlicher Fahrradstellplätze und damit zur Einsparung notwendiger KFZ-Stellplätze genutzt werden. Nicht möglich ist es, hierdurch notwendige Fahrradstellplätze herzustellen.

§ 51 Abs. 2 LBO n.F.

Das Kenntnisgabeverfahren ist künftig nur noch möglich für Vorhaben, die den Vorgaben des Bebauungsplanes vollständig entsprechen. Die Möglichkeit einer isolierten Entscheidung über Abweichungen, Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplanes außerhalb eines Baugenehmigungsverfahrens wird künftig nicht mehr gegeben sein. Der Landesgesetzgeber beabsichtigt damit, mehr Vorhaben in einem förmlichen Baugenehmigungsverfahren prüfen zu können. Begründet wird dies insbesondere mit dem hohen nachträglichen Kontrollaufwand bei Vorhaben im Kenntnisgabeverfahren, insbesondere dann, wenn Abweichungen von den Festsetzungen des Bebauungsplanes vorliegen.

2. Übergangsvorschriften und Inkrafttreten

Der Baden-Württembergische Landtag hat in seiner Plenarsitzung vom 05.11.2014 das „Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung für Baden-Württemberg“ beschlossen. Das Inkrafttreten ist in Art. 3 des Gesetzes vom 05.11.2014 geregelt. Die Vorschrift lautet:

„Artikel 3 Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am ersten Tag des vierten auf die Verkündung folgenden Monats in Kraft.“

Vgl. Gesetzesbeschluss des Landtags von Baden-Württemberg vom 05.11.2014, Landtags-Drucksache 15/6097

Die Verkündung erfolgte am 11.11.2014 im Gesetzblatt.

Vgl. Gesetzblatt für Baden-Württemberg 2014, S. 501 ff.

Damit treten die durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung der Landesbauordnung für Ba-den-Württemberg bewirkten Änderungen am 01.03.2015 in Kraft.

2.1. Das grundlegende Inkrafttreten der Landesbauordnung in der Fassung vom 11.11.2014 zum 01.03.2015 wird geregelt in Art. 3 des Änderungsgesetzes. Eine Übergangsvorschrift enthält das Änderungsgesetz im Übrigen nicht. Fraglich ist daher, ob die LBO in der ab 01.03.2015 geltenden Fassung auch auf Sachverhalte anzuwenden ist, die bereits vorher eingeleitet worden sind, beispielsweise dadurch, dass vor dem 01.03.2015 ein Baugenehmigungsantrag eingereicht und so ein Verwaltungsverfahren begonnen wurde.

2.1.1. Die Verwaltungsbehörde hat bei ihrer Entscheidung über einen Antrag grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung gültig ist. Dies gilt entsprechend für die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses eines Abhilfe- oder Widerspruchsbescheides in der Situation des Verpflichtungswiderspruches (Vgl. Kirchberg/Herrmann in Quaas/Zuck, Prozesse in Verwaltungssachen, 2. Auflage 2011, § 2, Rz. 393 m.w.N).

Die Widerspruchsbehörde hat demnach Änderungen der Rechtslage zwischen An-tragstellung und Entscheidung über den Verpflichtungs-Widerspruch grundsätzlich zu berücksichtigen. Eine Ausnahme besteht dann, wenn dem Bauherrn antragsgemäß eine Baugenehmigung erteilt worden ist, gegen die ein Drittbetroffener (Nachbar) Widerspruch einlegt. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes erlangt der Bauherr mit Erlass der Baugenehmigung eine in gewissem Maß gesicherte Rechtsposition, auf die er zum Zeitpunkt ihres Erlasses einen Anspruch hatte und die zu dulden der Dritte (Nachbar) verpflichtet war. Diese Rechtsposition kann nicht ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage entzogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.09.1969, Az.: IV C 18/67, NJW 1970, 263).

Demnach kann einer vor dem 01.03.2015 erteilten Baugenehmigung in dem durch einen Nachbarn angestrengten Widerspruchsverfahren nicht entgegengehalten werden, sie verstoße gegen die ab 01.03.2015 gültigen Vorschriften der Landes-bauordnung.

2.1.2. Die Landesbauordnung enthält in § 77 Abs. 1 LBO eine Übergangsvorschrift, die auch durch das Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung für Baden-Württemberg vom 11.11.2014 nicht geändert worden ist. Die Vorschrift lautet:

„Die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleiteten Verfahren sind nach den bisherigen Verfahrensvorschriften weiterzuführen. Die materiellen Vorschrif-ten dieses Gesetzes sind in diesen Verfahren nur anzuwenden, als sie für den Antragsteller eine günstigere Regelung enthalten als das bisher geltende Recht. § 76 bleibt unberührt.“

Dabei erscheint fraglich, ob sich die Formulierung in § 77 Abs. 1 LBO nur auf das Inkrafttreten der LBO in ihrer ursprünglichen Fassung bezieht oder auch auf das Inkrafttreten künftiger Änderungen, womit § 77 Abs. 1 LBO als generelle Überlei-tungsvorschrift zu verstehen wäre.

2.1.2.1. Nach dem Wortlaut der Vorschrift sind die materiellen Regelungen der LBO in der neuen Fassung nur dann auf bereits begonnene, aber noch nicht abgeschlossene Verfahren anzuwenden, wenn sie für den Antragsteller günstiger sind als die bisherigen Regelungen. Neue, den Bauherrn belastende Regelungen würden auf bereits laufende Verfahren keine Anwendung finden. Eine Beschränkung nur auf das Inkrafttreten der LBO in ihrer ursprünglichen Fassung ist dem Wortlaut jedenfalls nicht eindeutig zu entnehmen.

2.1.2.2. Diese Auffassung wird auch in der Literatur geteilt. Nach der Auffas-sung von Hammer/Rickes/Schaible soll die Übergangsregelung in § 77 Abs. 1 LBO im Falle von Änderungen der Landesbauordnung für eine reibungslose Rechtsanwendung Sorge tragen und hierdurch Nachteile für Bauherren und Planverfasser vermeiden, die ansonsten zwangsläufig bei einer Änderung der Rechtslage ohne Übergangsregelungen eintreten würden (vgl. Hammer/Rickes/Schaible in: Praxis der Kommunalverwaltung, Januar 2006, Erläuterung zu § 77 LBO).

2.1.2.3. § 77 Abs. 1 LBO wurde eingeführt mit dem Erlass der Neufassung der Lan-desbauordnung in der Fassung vom 08.08.1995 und trat am 01.01.1996 in Kraft (Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1995, S. 617 ff.). Das Gesetz geht auf einen Gesetzentwurf der Landesregierung vom 31.01.1995 zurück. In der Begründung zu § 77 Abs. 1 LBO heißt es:

„Absatz 1 enthält die Übergangsregelungen für bereits vor Inkrafttreten der Neufassung eingeleitete Verfahren. Da die §§ 49 ff. wesentliche Änderungen im Bereich des Verfahrensrechtes enthalten und eine Umstellung eingeleiteter Verfahren auf diese Neuregelungen mit erheblichen Schwierigkeiten für die Baurechtsbehörden und den Bauherrn verbunden wäre, sind insoweit die alten Verfahrensvorschriften anzuwenden. Die in Satz 2 für eingeleitete Verfahren geschaffene „Meistbegünstigungsklausel“ gilt ausschließlich hinsichtlich der materiellen Vorschriften. Das neue materielle Recht ist demnach nur insoweit anzuwenden, als es für den Antragsteller (Bauherrn) gegenüber dem bisherigen Recht eine günstigere Regelung enthält.“

Vgl. Gesetzesbegründung zum Entwurf einer Landesbauordnung für Baden-Württemberg, Landtagsdrucksache 11/5337, S. 127

Die Gesetzesbegründung legt nahe, dass die wesentliche Motivation des Gesetzgebers zur Schaffung der Übergangsvorschrift in § 77 Abs. 1 LBO die mit der Neufassung der LBO einhergehende wesentliche Änderung des Verwaltungsverfahrens war. Dies ist jedoch ein besonderes Merkmal des am 08.08.1995 verkündeten und am 01.01.1996 in Kraft getretenen Gesetzes und trifft jedenfalls nicht ohne weiteres auf nachfolgende Änderungen und Novellierungen der Landesbauordnung zu. Dies lässt den Schluss zu, dass der Gesetzgeber mit § 77 Abs. 1 LBO nur die Schwierigkeiten aus Anlass des Inkrafttretens der damaligen Neufassung der LBO in ihrer ursprünglichen Fassung vom 08.08.1995 regeln wollte und keine darüber hinausgehende, auch für künftige Änderungen geltende allgemeine Übergangsvorschrift.

2.1.2.4. Auch in der Literatur wird dieser Ansatz vertreten, wonach § 77 Abs. 1 LBO nur für das Inkrafttreten der Landesbauordnung in der ursprüngli-chen Neufassung vom 08.08.1995 gilt und nicht auf nachfolgende Än-derungen der LBO anzuwenden ist, insbesondere nicht auf die Novelle vom 10.11.2009. Mangels Überleitungsvorschrift in der Novelle der Landesbauordnung 2010 (vgl. Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung für Baden-Württemberg vom 10.11.2009, Gesetzblatt des Landes Baden-Württemberg 2009, S. 615 ff.), die am 01.03.2010 in Kraft getreten ist, gelten die ab diesem Zeitpunkt gültigen Vorschriften damit unmittelbar auch für bereits laufende Verfahren (vgl. Sauter, Landesbauordnung, 3. Auflage, 38. Lieferung März 2011, § 77, Rz. 1).

2.1.2.5. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 06.04.2010 für einen vergleichbaren Sachverhalt (Änderung der LBO i.d.F. v. 08.08.1995) entschieden, dass die Vorschriften der Landesbauordnung in der ab 01.03.2010 geltenden Fassung auch auf Baugenehmigungsverfahren anzuwenden sind, die bereits vor dem 01.03.2010 begonnen worden sind, da dem entsprechenden Änderungsgesetz eine Überleitungsvorschrift fehle. Bei der Entscheidung über eine auf Erteilung einer Baugenehmigung gerichteten Verpflichtungsklage sei auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Soweit noch keine Baugenehmigung vorliege, sei auch keine „Günstigerprüfung“ vorzunehmen, da eine gesicherte eigentumsrechtliche Position im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG ohne eine solche Baugenehmigung nicht vorliege. In diesem Urteil heißt es:

„Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Vorhabens ist die Lan-desbauordnung vom 8.8.1995 (GBI S. 17) in der seit dem 1.3.2010 gel-tenden Fassung des Änderungsgesetztes der Landesbauordnung vom 10.11.2009 (GBI S. 615ff. – BadWürttBauO 2010). Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Verpflichtungsklage eines Bauherren auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab-zustellen. Auch im Hinblick auf Art. 14 I 1 GG findet eine so genannte „Günstigerprüfung“ nicht statt, da nur eine erteilte Baugenehmigung dem Bauherrn eine (relativ) gesicherte eigentumsrechtliche Position vermittelt (vgl. BVerwGE 61, 128 [134] = NJW 1981, 2426). Mangels Überleitungsvorschriften finden die geänderten Bestimmungen der Landesbauordnung mit ihrem Inkraftreten am 1.3.2010 Anwendung.“

2.2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, insbesondere der Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 06.04.2010, muss davon ausgegangen werden, dass auf Baugenehmigungsverfahren, über die ab 01.03.2015 entschieden wird, unabhängig von dem Zweitpunkt des Antragseingangs nach der dann gültigen Rechtslage zu entscheiden ist.

Diese Auffassung teilt auch das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg als oberste Baurechtsbehörde. Am 18.12.2014 hat der Abgeordnete Tobias Wald eine Kleine Anfrage zu § 77 Abs. 1 LBO in den Landtag eingebracht. Die Kleine Anfrage lautet wie folgt:

„1. Teilt sie [die Landesregierung, d.Uz.] die Auffassung, dass vor Inkrafttreten der vom Landtag am 5. November 2014 beschlossenen Änderungen der LBO eingeleitete Verfahren nach den bisherigen Verfahrensvorschriften weiter zu führen sind?

2. Teilt sie weiterhin die Auffassung, dass die Novelle der LBO in der vom Landtag am 5. November 2014 verabschiedeten Form erst für nach dem 1. März 2015 einge-leitete Verfahren bindend ist?“

Das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur hat für die Landesregierung am 27.01.2015 hierauf geantwortet. Die oberste Baurechtsbehörde hält die Überleitungsvorschrift in § 77 Abs. 1 LBO auf Novellierungen der LBO nicht für anwendbar, da diese Vorschrift sich ausschließlich auf das Inkrafttreten der Landesbauordnung in der ursprünglichen Fassung zum 01.01.1996 beziehe. Mangels Übergangsvorschrift in dem Änderungsgesetz gelte die neue Rechtslage für alle Behördenentscheidungen, die ab dem 01.03.2015 getroffen werden, unabhängig vom Zeitpunkt des Antragseingangs. Die Landesregierung sieht durch den Zeitraum zwischen Verkündung am 11.11.2014 und Inkrafttreten am 01.03.2015 sichergestellt, dass sich Bauherren und Entwurfsverfasser auf die neue Rechtslage einstellen können (vgl. Kleine Anfrage des Abgeordneten Tobias Wald und Antwort des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur, Landtags-Drucksache 15/63089.

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