Entschädigungsansprüche bei Betriebsschließungen im Zuge der Covid-19-Maßnahmen

Die Landesregierungen haben zahlreiche Maßnahmen im Wege der Rechtsverordnung erlassen, die helfen sollen, die Ausbreitung des SARS-Cov-2-Virus und die hierdurch ausgelöste COVID-19-Erkrankung zu bekämpfen. Für die Entsprechende Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung - CoronaVO) vom 17.03.2020, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 22.03.2020, wurden zahlreiche Beschränkungen des öffentlichen Lebens angeordnet. Dies betrifft Unternehmen und Einrichtungen in unterschiedlichsten Bereichen. Grundlage für diese Rechtsverordnung ist § 32 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Verbindung mit §§ 28 Abs. 1 S. 1, 31 IfSG. Diese Maßnahmen, insbesondere die geregelten Betriebsschließungen für Einzelhändler, aber auch für sonstige Gewerbetreibende und öffentliche Einrichtungen, die sich teilweise auch in privater Trägerschaft befinden, führen zu massiven Einnahmeausfällen. In der Folge stellen sich verschieden Fragen der Haftungssysteme, die im Infektionsschutzgesetz selbst, aber auch im allgemeinen Staatshaftungsrecht angelegt sind. Mit diesem Beitrag wollen wir Ihnen eine Überblick über die verschiedenen Haftungsgrundlagen geben.

Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG

Das Infektionsschutzgesetz kennt selbst einen eigenen Entschädigungsanspruch in § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG.

§ 56 Entschädigung
„(1) Wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, erhält eine Entschädigung in Geld. Das Gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider oder Ansteckungsverdächtige abgesondert wurden oder werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können."

Die verwendeten Begriffe wie Ausscheider etc. definiert das Infektionsschutzgesetz selbst:
Ausscheider gem. § 2 Nr. 6 IfSG: Eine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein. Ansteckungsverdächtiger gem. § 2 Nr. 7 IfSG: Eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Krankheitsverdächtiger gem. § 2 Nr. 5 IfSG: Eine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen. Sonstige Träger von Krankheitserregern gem. § 31 S. 2 IfSG: Personen, die Krankheitserreger so in oder an sich tragen, dass im Einzelfall die Gefahr einer Weiterverbreitung besteht.
Die Entschädigungsregelung des § 56 IfSG knüpft demgemäß an einzelfallbezogene Maßnahmen gegenüber bestimmten Personen an. Konkret bedeutet dies, dass ein Unternehmen bzw. ein Selbstständiger oder Freiberufler, der aufgrund einer Rechtsverordnung auf Grundlage von § 32 Abs. 1 IfSG i.V.m. § 28 IfSG seinen Betrieb schließen muss, ohne dass im Einzelfall eine Anordnung wegen Krankheitsverdachts etc. ergeht, bereits nach dem Wortlaut des § 56 IfSG nicht zu dem entschädigungsberechtigten Personenkreis gehört.

Entschädigungsanspruch nach § 65 Abs. 1 IfSG

Das Infektionsschutzgesetz kennt darüber hinaus in § 65 Abs. 1 IfSG eine weitere Entschädigungsregelung bei behördlichen Maßnahmen.

§ 56 Entschädigung bei behördlichen Maßnahmen „(1) Soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird, ist eine Entschädigung in Geld zu leisten; eine Entschädigung erhält jedoch nicht derjenige, dessen Gegenstände mit Krankheitserregern oder mit Gesundheitsschädlingen als vermutlichen Überträgern solcher Krankheitserreger behaftet oder dessen verdächtig sind. § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist entsprechend anzuwenden.“

Entscheidend ist insoweit, dass in der Anordnung von Betriebsschließungen „ein anderer nicht unwesentlicher Vermögensnachteil“ gesehen werden kann. Der Wortlaut der Norm spricht zunächst dafür. Allerdings differenziert die Rechtsprechung auch hier weiter: so ist der Anwendungsbereich des § 65 IfSG nur eröffnet, wenn behördliche Maßnahmen zur Verhütung einer Infektion angeordnet werden; genau dies ist in den in § 65 Abs. 1 IfSG in Bezug genommenen §§ 16, 17 IfSG geregelt. Durch die nun auf der Grundlage von § 32 IfSG in Verbindung mit §§ 28 Abs. 1 S. 1, 31 IfSG angeordneten Maßnahmen werden jedoch Anordnungen zur Bekämpfung einer Infektion nach §§ 24 ff. IfSG angeordnet, insbesondere die in § 28 IfSG ausdrücklich genannten Veranstaltungs- und Ansammlungsverbote. Bleibt die Rechtsprechung bei diesen Grundsätzen, die freilich in völlig anderen Zusammenhängen aufgestellt wurden, werden sich aller Voraussicht nach Entschädigungsansprüche auf dieser Grundlage nicht realisieren lassen.

Entschädigungsansprüche nach den Polizeigesetzen der Länder

Das Recht der Gefahrenabwehr wird traditionell als Polizeirecht bezeichnet. Auch das auf Landesebene angesiedelte Polizeirecht kennt dabei neben einzelfallbezogenen Maßnahmen ein Tätigwerden der Polizeibehörden – bspw. der Städte und Gemeinden als sog. Ortspolizeibehörden – im Wege der Allgemeinverfügung oder auch der Rechtsverordnung. Da auch eine Rechtsverordnung nach § 32 IfSG letztlich der Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dient, stellt diese eine „Maßnahme der Polizei“ dar, was nichts anderes bedeutet als eine Gefahrenabwehrmaßnahme. Ist von einer solchen Maßnahme jemand betroffen, der nicht selbst die Gefahr, die bekämpft werden soll, hervorgerufen hat, spricht man von Maßnahmen gegen den sogenannten Nicht-Störer.

§ 55 des Polizeigesetzes für Baden-Württemberg (PolG) in Verbindung mit § 9 Abs. 1 PolG kann der von einer Maßnahme der Gefahrenabwehr betroffene Nicht-Störer für den hierdurch erlittenen Schaden eine angemessene Entschädigung verlangen. Zu Inhalt und Umfang dieses Entschädigungsanspruchs sind dabei die Einzelfallumstände genau zu prüfen: in wie weit wird dem Einzelnen im Vergleich zu den übrigen Betroffenen ein besonderes „Opfer“ abverlangt? Welche Schäden oder sonstigen Einbußen entstehen unmittelbar durch die behördliche Maßnahme und nicht aufgrund anderer Umstände allgemeinwirtschaftlicher Natur, wie beispielsweise eine allgemeine Zurückhaltung der Kunden?

Staatshaftungsrechtliche Entschädigungsansprüche Bereits als Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 (bekannt als „ALR“) kannte einen Entschädigungsanspruch des einzelnen Bürgers bei staatlichen Maßnahmen. In den §§ 74, 75 ALR war geregelt, dass der Einzelne, der von einer hoheitlichen Zwangsmaßnahe betroffen wird, durch die im ein besonderes Opfer abverlangt wird, hierfür eine Entschädigung verlangen kann. Diese Grundsätze hat auch der Bundesgerichtshof für die Staatshaftung übernommen und billigt dem von einem sogenannten enteignungsgleichen Eingriff betroffenen einen Ausgleich für das ihm zu Gunsten der Allgemeinheit abverlangten Sonderopfer zu. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Recht zur Fortsetzung eines Gewerbebetriebes im bisherigen Umfang nach den schon getroffenen betrieblichen Maßnahmen in den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechtes aus Art. 14 GG fällt. Insoweit können sich die Maßnahmen auf der Grundlage der jeweiligen, zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlassenen Maßnahmen der Länder als enteignungsgleiche Eingriffe in den jeweiligen Gewerbebetrieb darstellen, wenn die Fortsetzung des bisherigen Betriebes durch die Maßnahmen unterbunden wird. Ein Entschädigungsanspruch setzt dabei weiter ein Sonderopfer des Betroffenen voraus: dieser muss über das Maß dessen, was die Allgemeinheit an Einbußen etc. hinnehmen muss, in besonderer Weise in Anspruch genommen werden. Die Grenze zwischen dem (noch) hinzunehmenden Eingriff und einem (zu entschädigenden) Sonderopfer ist dabei nicht leicht zu ziehen und hängt von verschiedenen Faktoren ab. So müssen geeignete Vergleichsgruppen gebildet und die Auswirkungen der jeweiligen Maßnahmen auf diese betrachtet werden. Nicht alle Gewerbetreibenden und nicht alle Einrichtungen sind von den Maßnahmen der Länder in gleichem Maße betroffen. Entsprechend ist das Kriterium des Sonderopfers in der bisherigen Rechtsprechung mitunter großzügig gehandhabt worden, etwa in dem Fall des Eigentümers einer Wohnung, der die von einem Einsatzkommando der Polizei bei der Festnahme seines Mieters verursachten umfangreichen Schäden an der Wohnung zwar dulden muss, diese jedoch als Sonderopfer ersetzt verlangen kann.

Vorrang des Primärrechtsschutzes

Bei allen Überlegungen zu Entschädigungsansprüchen ist zudem zu beachten, dass die Staatshaftung im Grundsatz subsidiär ausgestaltet ist. Nur wenn nicht auf sonstige Weise der Schaden verhindert oder doch zumindest verkleinert werden kann, kann die öffentliche Hand in Anspruch genommen werden. Daher gilt es bei allen Überlegungen stets zu prüfen, inwieweit gegen einzelne Maßnahmen Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die Rechtsverordnungen der Länder halten hierfür verschiedene Öffnungsklauseln bereit, die den Umständen des Einzelfalls Rechnung tragen sollen. Werden diese Handlungsmöglichkeiten nicht in Erwägung gezogen, stellt sich in vielen Fällen die Fragen nach einem Entschädigungsanspruch gar nicht mehr.

Gerne beraten wir Sie umfassend zu den Handlungsmöglichkeiten im Rahmen der länderspezifischen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie.

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