Die gebührende Sorgfalt des Händlers – OLG Celle konkretisiert Pflichten des Medizinproduktehändlers gemäß Art. 14 Abs. 1 MDR

Bevor ein Händler ein Medizinprodukt auf dem Markt bereitstellen darf, muss er prüfen, ob das Produkt bestimmte regulatorische Anforderungen einhält. Gemäß Art. 14 Abs. 1 der Medizinprodukte-Verordnung 2017/745 EU (MDR) gilt:

„Wenn die Händler ein Produkt auf dem Markt bereitstellen, berücksichtigen sie im Rahmen ihrer Tätigkeiten die geltenden Anforderungen mit der gebührenden Sorgfalt.“

Das OLG Celle hat nun in seinem Urteil vom 19.01.2023 (13 U 79/21) dargestellt, was unter der „gebührenden Sorgfalt“ eines Händlers zu verstehen ist.

Der Sachverhalt

Die in Deutschland ansässige Werksvertretung eines italienischen Herstellers von ölfreien Trockenluftkompressen zur Erzeugung von Trockenluft, einen Kompressor des italienischen Herstellers. Die Werksvertretung ist Händler im Sinne der medizinprodukterechtlichen Vorschriften.

Der Kompressor war nach der Maschinenrichtlinie (2006/42 EWG) zertifiziert und mit einem entsprechenden CE-Kennzeichen versehen. Einem Konformitätsbewertungsverfahren nach der MDR bzw. dem früheren Medizinproduktegesetz wurde der Kompressor nicht unterzogen; die vierstellige Ziffer einer Benannten Stelle bei der CE-Kennzeichnung fehlte.

Ausweislich der Gebrauchsanweisung und den Angaben auf der Internetseite des Herstellers, kann der Kompressor u.a. zum Betrieb rotierender Instrumente durch einen Zahnarzt eingesetzt werden, mit dem Zweck Partikel aus dem Mundraum des Patienten zu entfernen oder die Zähne zu trocknen. Hiergegen wendete sich ein Mitbewerber und beantragte, es dem Händler zu untersagen, den Kompressor unter dieser medizinischen Zweckbestimmung in Verkehr zu bringen, da dem Kompressor die entsprechende Zertifizierung als Zubehör zu einem Medizinprodukt fehle und beantragte darüber hinaus die Feststellung eines Schadensersatzanspruchs. Der Mitbewerber hatte das Produkt zuvor im Wege eines Testkaufs erworben.

Die Entscheidung des OLG Celle

Das OLG Celle verurteilte den Händler zweitinstanzlich zur Unterlassung des Inverkehrbringens des Kompressors und stellte auch den Schadensersatzanspruch des Mitbewerbers fest.

Zunächst legte das Gericht kurz dar, dass es sich bei dem Kompressor – ausweislich der Gebrauchsanweisung des Herstellers – um Zubehör zu Medizinprodukten handelt, das einer Konformitätsbewertung durch eine Benannte Stelle nach den Regeln der MDR unterzogen werden muss.

Sodann bejahte das OLG Celle den Unterlassungsanspruch des Mitbewerbers: Indem der Händler das Nichtkonforme Produkt in Verkehr brachte, verstieß er gegen seine Marktverhaltenspflicht aus Art. 14 Abs. 1 MDR und handelte wettbewerbswidrig.

Im Anschluss definierte das Gericht den Begriff der gebührenden Sorgfalt:

„Der Begriff der gebührenden Sorgfalt bezieht sich auf die Anstrengungen, die eine mit normaler Umsicht handelnde oder vernünftige Person unternimmt, um unter Berücksichtigung der Umstände Schaden von anderen abzuwenden.“

OLG Celle, Urt. v. 19.01.2023 – 13 U 79/21

Demnach muss der Händler wissen,

  • welche Produkte mit der CE-Kennzeichnung zu versehen sind
  • welche Unterlagen (z. B. EU-Konformitätserklärung) das Produkt begleiten müssen
  • welche sprachlichen Anforderungen an die Etikettierung, Gebrauchsanweisungen bzw. andere Begleitunterlagen bestehen
  • welche Umstände eindeutig für die Nichtkonformität des Produkts sprechen.

Der Händler muss also vor der Bereitstellung des Produkts formell prüfen, dass das Produkt mit der/den erforderliche/-n Konformitätskennzeichnung/-en versehen ist (z. B. der CE-Kennzeichnung).

Diese Sorgfaltspflichten leitet das OLG Celle aus dem „Blue Guide“ der Europäischen Kommission zur Umsetzung der Produktvorschriften in der EU 2016 her. Dies unterstreicht die Bedeutung der Auslegungshilfen der Europäischen Kommission für die Rechtspraxis und als Orientierung für die Wirtschaftsakteure. Weiter heißt es im Urteil:

„Die Händler müssen auch über ein Grundwissen bezüglich der gesetzlichen Anforderungen verfügen – einschließlich der Kenntnis darüber, für welche Produkte die CE-Kennzeichnung und die Begleitunterlagen vorgeschrieben sind – und sollen in der Lage sein, zu erkennen, welche Produkte eindeutig nicht konform sind (Blue Guide, S. 148 unter Anhang VII). Die formelle Prüfung, ob ein Produkt mit der erforderlichen Konformitätskennzeichnung versehen ist, setzt Grundkenntnisse darüber voraus, welche Produktarten eine solche Konformitätskennzeichnung nebst Konformitätserklärung benötigen und ob das Produkt dazu gehört.“

Der Händler hätte hier also wissen und erkennen müssen, dass die Kompressoren, die er vertreibt, als Zubehör zu Medizinprodukten nur mit einer MDR-konformen CE-Kennzeichnung in Verkehr gebracht werden dürfen. Da dies aus der Gebrauchsanweisung zu den Kompressoren ersichtlich gewesen wäre, hat der Händler hier gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen.

Das OLG Celle führte weiter aus, dass es hingegen nicht zu den Pflichten des Händlers aus Art. 14 MDR gehört, zu prüfen, ob das Produkt in die richtige Risikoklasse eingeordnet wurde. Die Prüfung des Händlers beschränkt sich vielmehr auf eine formale Prüfung der ihm zugänglichen Informationen und daher beispielsweise nicht auf die Technische Dokumentation des Herstellers, da er auf diese keinen Zugriff habe.

Auswirkungen auf die Praxis

Das OLG Celle verschärft mit dem Urteil die Anforderungen, die an Händler von Medizinprodukten gestellt werden. Nach einer älteren Entscheidung des OLG Frankfurt war der Händler nur im „Falle einer klar erkennbaren fehlerhaften Einordnung“ wettbewerbsrechtlich verantwortlich (OLG Frankfurt, Urteil vom 21.01.1999 - 6 U 71/98). Nach dem OLG Celle gilt nun: Ein Händler muss wissen, welche Produkte er vertreibt und ob es sich hierbei um Medizinprodukte handelt. Er darf sich grundsätzlich nicht darauf verlassen, dass die Angaben des Herstellers zutreffend sind, sondern hat die Medizinprodukteeigenschaft der von ihm vertriebenen Produkte selbst zu prüfen. Wenn er beispielsweise eine Infrarotlampe verkauft, muss er wissen, ob der Hersteller dieser eine medizinische Zweckbestimmung beimisst oder ob das Produkt nur als Lifestyle-Produkt gedacht ist. Daraus muss er dann schließen, ob es ausreicht, wenn das Produkt nur mit einer „einfachen“ CE-Kennzeichnung versehen ist.

Für die Praxis empfiehlt es sich, diese Problematik im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen zwischen Händler und Lieferant zu regeln. Jedoch ist eine Delegation der Prüfpflichten aus Art. 14 MDR zurück an den Lieferanten oder Hersteller im Wege einer vertraglichen Vereinbarung– zumindest nach der in dem MDCG 2012-27 hinterlegten Rechtsauffassung – nicht zulässig, vielmehr muss jeder Wirtschaftsakteur die ihn nach der MDR treffenden Pflichten selbst erfüllen. Der Händler kann sich also nicht durch eine vertragliche Vereinbarung mit dem Hersteller von seinen wettbewerbsrechtlichen Pflichten befreien.

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