Zukunftsausblick: Notvertretungsrecht für Ehegatten

Nach geltendem Recht können Ehegatten weder Entscheidungen über medizinische Behandlungen für ihren nicht mehr selbst handlungsfähigen Partner treffen, noch diesen im Rechtsverkehr vertreten, solange sie nicht als rechtliche Betreuer ihres Partners bestellt werden oder von ihm durch eine Vorsorgevollmacht bevollmächtigt worden sind. Dies trifft in der Praxis häufig auf Unverständnis der Betroffenen und wird sich bald ändern.

1. Ausblick

Ein neuer Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts (BT-Drucksache 564/20) soll ein zeitlich beschränktes Vertretungsrecht für Ehegatten regeln. Der Bundesrat hat in der Sitzung am 26.03.2021 dem Gesetz zugestimmt, sodass der neue §1358 BGB am 1.1.2023 in Kraft treten wird.

2. Inhalt

Gem. § 1358 Abs. 1 BGB wird ein Ehegatte berechtigt sein, für den anderen Angelegenheiten der Gesundheitssorge zu erledigen, weil er diese aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit nicht selbst rechtlich besorgen kann. Es ist ein Notvertretungsrecht, da es nur aus Anlass einer akut eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigung, also aufgrund von Krankheit oder Unfall, entstehen kann. Es soll damit nicht Fälle einer Betreuung oder Vorsorgebevollmächtigung ersetzen. Außerdem gibt es den Ehegatten nur ein Recht und stellt keine Verpflichtung für einen Ehegatten dar, sein Vertretungsrecht auch wahrzunehmen.

3. Umfang

§ 1358 Abs. 1 BGB macht eine abschließende Aufzählung von Bereichen, in welchen der Ehegatte als Vertreter sein Vertretungsrecht ausüben kann. Umfasst sind neben medizinischen Untersuchungen (Nr. 1), auch der Abschluss von Verträgen (Nr. 2), die Geltendmachung von Ansprüchen (Nr. 4) sowie die Entscheidung über freiheitsentziehende Maßnahmen (Nr. 3). Auch die unaufschiebbare und aus medizinischer Sicht notwendige Versorgung einer Erkrankung, die erstmals diagnostiziert wird, kann umfasst sein.

4. Beschränkungen

Durch § 1358 Abs. 3 BGB wird das umfassende Notvertretungsrecht beschränkt. Dieses ist ausgeschlossen, wenn die Ehegatten getrennt leben, wenn bekannt ist, dass eine Notvertretung im Vorherein abgelehnt wurde, jemand anderes bevollmächtigt wurde oder ein Betreuer bestellt wurde. Außerdem ist das Notvertretungsrecht zeitlich beschränkt. Es besteht ab dem festgestellten Zeitpunkt lediglich für 3 Monate. Auch endet das Vertretungsrecht automatisch, sobald die Voraussetzungen nach Abs 1 nicht mehr vorliegen und der Vertretene seine Angelegenheiten wieder selbst regeln kann.

5. Auswirkungen auf Ärzte

Zum einen werden behandelnde Ärzte gegenüber dem vertretenden Ehegatten von ihrer Schweigepflicht durch Gesetz gem. § 1358 Abs. 2 BGB entbunden. Außerdem werden dem behandelnden Arzt Dokumentations- und Informationspflichten gem. § 1358 Abs. 4 BGB auferlegt:

Er muss

  • das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Notvertretungrecht nach § 1358 Abs. 1 BGB und den Zeitpunkt des Eintritts schriftlich bestätigen (gem. § 1358 Abs. 4 Nr. 1 BGB),
  • dem vertretenden Ehegatten diese Bestätigung mit einer Erklärung über die Voraussetzungen nach § 1358 Abs. 1 BGB und die Ausschlussgründe nach § 1358 Abs. 3 BGB vorlegen (gem. § 1358 Abs. 4 Nr. 2 BGB),
  • und sich von dem vertretenden Ehegatten schriftlich versichern lassen, dass das Ehegattenvertretungsrecht bisher nicht ausgeübt wurde und kein Ausschlussgrund vorliegt (gem. § 1358 Abs. 4 Nr. 3 BGB),

Ein solches Dokument ist anschließend dem vertretenden Ehegatten für die weitere Ausübung der Vertretungsberechtigung auszuhändigen. Diese Dokumentationspflichten und Informationspflichten bedeuten gleichzeitig einen zeitlichen und personellen Mehraufwand, sodass ein größerer Verwaltungsaufwand auf die Kliniken und Ärzte zu kommt.

6. Vorteile

Das Ehegattenvertretungsrecht überträgt eine umfassende Entscheidungsbefugnis auf den Ehegatten. Dies kann die Behandlungen in akuten Notsituationen erleichtern. Der behandelnde Arzt der Klinik hat einen festen Ansprechpartner, der die Entscheidungen über medizinische Maßnahmen trifft. Außerdem herrscht Rechtsklarheit durch die Entbindung von der Schweigepflicht. Zusätzlich wird dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Erkrankten durch zeitliche Begrenzung genüge getan. Dem Arzt bleibt die medizinische Stellungnahme gegenüber den Betreuungsgerichten erspart und Angehörige müssen sich nicht mit Formalien auseinander setzen.

7. Kritik

Die Abwälzung der Entscheidungsbefugnis auf die Ehegatten birgt jedoch auch Gefahren, denn die scheinbare Freistellung des Arztes über die Entscheidung des Ob und Wie einer Maßnahme kann haftungsrechtlich das Gegenteil bewirken. Die Vertretungsberechtigung wirkt durch die ärztliche Bescheinigung des § 1358 Abs. 4 BGB und ist eine gesetzliche Bevollmächtigung des Ehegatten, auf welche sich der Arzt verlässt.

Der Arzt hat keine Prüf- und Nachforschungspflicht bezüglich etwaiger Ausschlussgründe, da sonst der Sinn und Zweck einer unkomplizierten Vertretungsberechtigung verfehlt wäre. Der Arzt muss auf Richtigkeit vertrauen, was gleichzeitig eine große Missbrauchsgefahr birgt.

Sollten die Voraussetzungen einmal nicht alle vorliegen, würde der Ehegatte als Vertreter ohne Vertretungsmacht handeln, sodass seine Einwilligung unwirksam wäre. Der Arzt stünde in der Gefahr, einen nicht gerechtfertigten eigenmächtigen Heileingriff vorzunehmen. Alternativ wäre eine Rechtfertigung mittels mutmaßlicher Einwilligung nachträglich nicht mehr möglich, da der mutmaßlicher Wille des Patienten wegen § 1358 BGB gerade nicht ermittelt wurde.

Der Arzt trägt damit ein unkalkulierbares Risiko, ob Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes vorliegen oder nicht. Strafrechtlich mag ein unvermeidbarer Irrtum nach § 17 StGB vorliegen, da eine Nachforschungspflicht explizit ausgeschlossen wird. Zivilrechtlich hätte es zur Umgehung von haftungsrechtlichen Problemen eines Gutglaubensschutzes für Ärzte in der gesetzlichen Regelung bedurft.

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