Neues Beschaffungsverfahren für medizinische Rehabilitation gem. § 15 SGB VI und das Wettbewerbsrecht

Ein vom Bundesverband Deutscher Privatkliniken e.V. und verschiedener Träger von Rehabilitationseinrichtungen beauftragtes Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die jüngste Reform des § 15 SGB VI wegen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht europarechtswidrig und verfassungswidrig ist.

Insbesondere die Ausführungen der Gutachter Brosius-Gersdorf und Gersdorf zum europäischen Wettbewerbsrecht sind überzeugend und sollten den Gesetzgeber zum Überdenken des neuen Belegungs- und Vergütungssystems anregen:

Die Doppelrolle der Deutschen Rentenversicherung

Die Träger der Rentenversicherung haben im Bereich der medizinischen Rehabilitation eine Doppelrolle.

In ihrer ersten Rolle entscheiden die Träger der Rentenversicherung nach der neuen Reform gemäß § 15 Abs. 5 SGB VI kraft hoheitlicher Befugnis über die Zulassung privater oder freier Rehabilitationseinrichtungen zur Versorgung. Der federführende Träger der Rentenversicherung entscheidet also über den Marktzutritt privater oder freier Rehabilitationseinrichtungen. Nach der Zulassungsentscheidung ist es Aufgabe des federführenden Trägers der Rentenversicherung mit der zugelassenen Rehabilitationseinrichtung, einen Belegungsvertrag zu schließen (§ 15 Abs. 6 SGB VI). Als weitere Aufgabe obliegt den Trägern der Rentenversicherung der Vorschlag geeigneter Rehabilitationseinrichtungen für die Versicherten. Nach dem gegenwärtigen Stand soll hierfür die sog. 2+2 Regelung eingeführt werden, wonach immer dann, wenn der Versicherte von seinem Wahl- und Vorschlagrecht keinen Gebrauch macht, der Träger der Rentenversicherung dem Versicherten zwei private und zwei DRV-eigene Einrichtungen vorschlägt (hierzu: § 15 Abs. 6a SGB VI). Bei den vorstehenden Aufgaben handelt es sich um hoheitliche Tätigkeiten, wie sie klassischerweise von Leistungsträgern (DRV, Krankenkassen, Pflegekassen etc.) erbracht werden.

Jedoch nehmen die Träger der Rentenversicherung noch eine zweite Rolle als Leistungserbringer ein: Mit DRV-eigenen Rehabilitationseinrichtungen nehmen sie aktiv am Marktgeschehen teil und treten in Konkurrenz zu privaten und freien Rehabilitationseinrichtungen. Gleich wie private Rehabilitationseinrichtungen erbringen sie Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und werben beispielsweise mit einer DRV-eigenen Kliniksuche um Patienten.

Nach diesem System kann der Träger der Rentenversicherung als jemand der selbst am Marktgeschehen teilnimmt, durch die Zulassungsentscheidung und den Vertragsschluss selbst bestimmen, wer in den Kreis seiner Mitbewerber aufgenommen wird. Mit anderen Worten: Ein Wettbewerber kontrolliert Marktzugang, Qualität der auf dem Markt angebotenen Leistungen und über das Vergütungssystem auch den Preis. Gerade die geplante 2+2-Regelung zeigt, dass diese Macht zu einer Übervorteilung der DRV-eigenen Einrichtungen führen kann und die Träger der Deutschen Rentenversicherung darauf bedacht sind, ihren eigenen Einrichtungen ausreichend Patienten zuzuweisen. Zudem haben die DRV-eigenen Einrichtungen einen Vorteil, den keine privat geführte Rehabilitationseinrichtung haben kann: Die erwirtschafteten Verluste können durch die Verwendung von Geldern aus der Rentenversicherung aufgefangen werden. Die DRV-eigenen Einrichtungen sind daher – anders als die privaten Einrichtungen – nicht gezwungen, wirtschaftlich zu handeln. Die Teilnahme der DRV-eigenen Einrichtungen am Marktgeschehen verhindert einen funktionsfähigen Wettbewerb. Da die privaten Einrichtungen an die de facto von dem Rentenversicherungsträger vorgegebenen Vergütungssätze (§ 15 Abs. 8 S. 2, Abs. 9 S. 1 Nr. 2 SGB VI) gebunden sind, könnte dies im Ergebnis zu einer vollständigen Verdrängung der privaten Einrichtungen und damit zu einer Ausschaltung dieses Wettbewerbs führen.

Beschwerden gegen § 15 SGB VI neue Fassung

Unter anderem wegen dieser Doppelrolle der Träger der Rentenversicherung kommen Brosius-Gersdorf/Gersdorf in ihrem Gutachten zu dem nachvollziehbaren Ergebnis, dass die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben bei gleichzeitiger unternehmerischer Tätigkeit mit dem europäischen Wettbewerbsrecht unvereinbar sind: Unionsrechtlich ist eine Trennung von der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und unternehmerischer Tätigkeit geboten. Diese Trennung wird durch die Doppeltätigkeit der Träger der Deutschen Rentenversicherung missachtet. Das neue System des § 15 SGB VI verstößt damit gegen das europäische Wettbewerbsrecht.

Brosius-Gersdorf/Gersdorf schlagen daher eine echte Mitbestimmung der privaten und freien Rehabilitationseinrichtungen und eine Selbstverwaltung vor, wie sie in anderen Bereichen des Deutschen Sozialrechts üblich ist.

Private Rehabilitationseinrichtungen sollten das Gutachten zum Anlass nehmen, um Beschwerden bei der Europäischen Kommission gegen das neue System des § 15 SGB VI zu erheben. Diese Beschwerden können über ein Formular der Europäischen Kommission erhoben werden.

Das Formular können Sie hier abrufen und ausfüllen.

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